Donnerstag, 27. Dezember 2007

Good old Germany

Deutschland hat mich wieder. Menschen im Weihnachtsstress, Staus auf den Autobahnen, überquellende Einkaufstüten mit trendigen, aber überflüssigen Errungenschaften, Sorgen um verwischte Kajalstriche und Klagen über den Kontostand.
Nach einer Woche Deutschland bin ich noch immer nicht vollends angekommen. Das einfache, humorvolle und ruhige Leben der Reservatsbewohner, das von echten Sorgen bestimmt war und sich dennoch nie beschwerte, hat mich zu stark beeinflusst. Ich fühle mich plötzlich unwohl in Menschenmengen und schüttele den Kopf bei den Sorgen mancher Menschen hier. Hinzu kommt der Jetlag, der mich die halbe Nacht wach hält. Oder ist es die Ruhe, die mich um den Schlaf bringt? Keine Sirenen, kein Hundegebell, kein Wind, der an den Fenstern rüttelt.
Keine Frage: Ich vermisse die Prärie und meine Freunde wie wahnsinnig. Aber ich weiß auch, dass es nicht lange dauern wird, bis ich wieder in meinen deutschen Alltagstrott verfalle. Zu diesem gehören natürlich auch Dinge, die ich in South Dakota vermisst habe. Mein erster Besuch in der Heimat galt der Badewanne, verbunden mit einer wohl duftenden Haarpackung und einer dreifachen Schicht Bodylotion. Zum ersten Mal seit Monaten kann ich so richtig entspannen. Mein Körper freut sich so sehr darüber, dass er erst einmal eine fette Erkältung sponsert, um mich ein wenig ans Bett zu fesseln. Auch meine Hände verwandeln sich langsam wieder von zerkratzten und rauen Bauernhände in normale Frauenhände, und die Augenringe, die mich in letzter Zeit davon abhielten, in den Spiegel zu schauen, sind wie von Geisterhand verschwunden.

Die letzten Tage im Main waren bestimmt von den Vorbereitungen für den Toy-Drive. Die Auswahl der Geschenke für die einzelnen Kinder hat wahnsinnig viel Spaß gemacht und uns für all die vorherige Schlepperei entlohnt. Ich habe in Deutschland schon immer mit Begeisterung an der Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ teilgenommen, aber noch schöner ist es, wenn man mit Hilfe der Wunschzettel die konkreten Wünsche der Kinder erfüllen kann! Während der Weihnachtsvorbereitung hatten wir hilfreiche Unterstützung von Sabine aus Dresden, die selbst im Jahre 2000 als Volontärin im Main arbeitete und seitdem regelmäßig ins Reservat zurückkommt. Sie ist zudem die Betreiberin der Seite
www.indianer-reservation.de und hat mich damals bei meiner Entscheidung, als Freiwillige ins Main zu gehen, großartig unterstützt. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, Sabine endlich persönlich kennen zu lernen. Sie hat natürlich auch Wokini und das Fohlen besucht, von denen sie schon einiges gelesen hatte. ;-)


An meinem letzten Tag gab es dann noch ein überraschendes Ereignis, über das ich bis heute nicht so richtig hinweg komme: Tamara und Douglas haben geheiratet, und ich war Trauzeugin! Naja, nicht allzu phänomenal, wäre da nicht die kleine Tatsache, dass der eigene Sohn Rocky noch nicht einmal anwesend war! Anscheinend war es Tamara und Doug wichtiger, mich dabei zu haben. Lange vor sich hergeschoben, nahmen die beiden nun meine Abreise zum Grund, die Sache endlich hinter die Bühne zu bringen. So wurde denn eben mal ruck, zuck von der Turnhalle ins Standesamt gedüst, dort schnell geheiratet, um anschließend wieder zurück zur Arbeit zu hetzen. Kurz und schmerzlos. Vor allen Dingen aber lustig: Vor und während der Zeremonie wurden derart viele Witze gerissen, dass es mir schwer fiel, zu glauben, gerade an einer Trauung teilzuhaben (meine erste wohlbemerkt). Die Rechtsanwältin mit grauen langen Haaren und schwarzer Robe versuchte vergeblich, ihre ernste Miene zu bewahren…

Die öffentliche Hochzeitfeier findet im Sommer am Cheyenne River statt. Die Einladungen werden aber erst verschickt, wenn ich meine Flugdaten weiß ;-)))



Der Rückflug verlief in geordneten Bahnen. Keine Autos im Triebwerk und somit keine Verspätungen. In Deutschland sind wir dann direkt in einen 15 km langen Stau geraten. Ich sag Euch – wenn man nur noch Highways gewöhnt ist, in denen einem jede viertel Stunde ein Auto entgegen kommt, dann bekommt man in solch einem deutschen Autogetümmel einen leichten Anfall von Panik!


Fazit: Rückkehr = Melancholie x Reizüberflutung

Ab vor die Glotze!!

Heute, 18.15 Uhr, auf 3 sat:
South Dakota - In den heiligen Bergen der Sioux
Film von Karl Teuschl
Erstausstrahlung
Wie eine grüne Oase ragen die Black Hills aus den weiten Prärien Nordamerikas auf. Für die Bison jagenden Sioux-Indianer waren sie einst heilig. 1874 wurde dort Gold entdeckt und in Scharen kamen weiße Abenteurer. In den folgenden Jahren war in Städten wie Deadwood der Wilde Westen so wild wie nirgends sonst. Die Black Hills haben auch heute für die Amerikaner eine besondere Bedeutung: Ikonen wie der Mt. Rushmore sind Pilgerziele für Patrioten aus dem ganzen Land. Die Black Hills sind aber auch eine beliebte Ferienregion, die mit Wildwest-Flair und indianischen Powwow-Festen, großartigen Naturparks und nostalgischen Städtchen einen Blick in den Mittelwesten Amerikas erlauben. Die Lebensgeschichten von Westernhelden wie Wild Bill Hickock und Calamity Jane werden in Museen, Saloons und Moritatenspielen zelebriert. Und auch die Bisons sind zurückgekehrt: Rund 1.500 der massigen Tiere leben im Custer State Park und viele mehr noch in den bizarren Erosionslandschaften der Badlands am Rand der Berge. Größtes Ereignis der Black Hills ist alljährlich das Harley-Treffen von Sturgis: Rund 400.000 Motorradfans aus den USA und aus aller Welt kommen dafür nach South Dakota. Doch es gibt auch leisere Töne in den Black Hills: Gleich neben Sturgis liegt eine der heiligsten Stätten der Sioux, zu der noch heute die Indianer pilgern. Der Film lädt zu einer Reise zu den Black Hills ein.

Sonntag, 16. Dezember 2007

Dies ist übrigens nicht das Ende! Es liegen wie gesagt noch vier Tage vor mir, in denen einiges passieren kann. Zudem habe ich noch Foto- und Filmmaterial, das ich von zu Hause aus hochladen werde, da die Internetverbindung hier auf Indian Time eingestellt ist. ;-)

Ich bedanke mich bei all denen, die meine Einträge mit Interesse gelesen haben. Vor allem aber bedanke ich mich für Eure Kommentare und die vielen lobenden Worte, die mich immer wieder motiviert haben, weiter zu schreiben. Ihr seid toll, danke!!!

Samstag, 15. Dezember 2007

Hilfe, es weihnachtet sehr!

Ich bin traurig. Dies ist ohne Frage ein Widerspruch zum Ende des letzten Eintrages, aber es ist die Wahrheit: I-c-h--b-i-n--t-r-a-u-r-i-g! Der Abschied hat völlige Kontrolle über mich gewonnen, er bestimmt fast jede verdammte Minute meines Denkens. Alles hier erscheint fremd, seltsam und trübe. So stark ich bisher immer gewirkt habe, gestern habe ich geflennt wie ein Baby und kam mir nur noch eines vor: schwach.
Jetzt ist Samstagabend, und noch vier ganze Tage liegen vor mir. Diese werden erfüllt sein von Arbeit, und zwar non stop. Die Weihnachtsvorbereitungen sind in vollem Gange: Letzten Freitag hatten wir einen Toy Sale in der Turnhalle, bei dem innerhalb von einer Stunde fast alle Tische leergeräumt wurden, die Ben und ich zuvor in zwei Tage langer Arbeit mit Spielsachen dekoriert hatten. Diese Spielsachen waren Überreste vom letzten Weihnachten und wurden nun zu einem geringen Preis an Mitglieder des Family Services verkauft, um Platz zu schaffen für den Wahnsinn: den Toy Drive.
Dieses Riesenereignis bemüht sich gegen Ende jeden Jahres darum, die Weihnachtswünsche der kleinen Reservatsbewohner so gut es geht zu erfüllen. Die Prozedur ist einfach: Die Kinder der Reservation beginnen im Herbst, ihre Briefe an den Weihnachtsmann zu verfassen (an die 1.000 Wunschzettel!), die dann bei uns im Teen Center nach Familien und Ortschaften sortiert werden. Die Wünsche sind teilweise herzzerreisend: Ein Junge wünscht sich seinen Vater für Weihnachten zurück, welcher momentan im Krieg ist. Viele Kinder wollen Decken und Kissen oder gar ein Bett. Ein kleiner Junge schreibt: “I want world peace and a Nintendo.” Die meisten Kids haben jedoch die normalen, überdimensionalen Wünsche, die fast jedes Kind hat: I-Pod, CD- und DVD-Player, Fernseher, etc. Es gibt aber glücklicherweise auch noch kindgerechte Wünsche, wie z. B. Puppen, Autos, Schminke und Action-Figuren.
Diese “Dear Santa” – Briefe werden dann an Firmen und Menschen im ganzen Land weiter geleitet, die dem CRYP mit einer Spende helfen wollen. Es dauert nicht lange, bis die ersten Pakete mit Spielsachen und Kleidung im Teen Center eintreffen. Doch je näher der Dezember rückt, desto öfter sind sie in aller Munde: Die LKW-Ladungen, die Tonnen an Spielsachen bringen und Hunderte von Kindern im Reservat glücklich machen. Die erste Lieferung kam gestern um 8 Uhr, und die zweite wird morgen früh kommen. Sobald ein LKW in die Einfahrt zum Main einbiegt, beginnt der Wahnsinn: Der Kaffee wird stehengelassen, man hüpft in die Stiefel, oder man lässt einen eigentlich viel zu schönen Traum zurück, um raus in die Kälte zu eilen und in verschlafene, aber aufgeregte Gesichter zu blicken. Die Müdigkeit verschwindet jedoch nach dem ersten Karton auf dem Buckel, und irgendwann ist auch das scheinbar Unmögliche geschafft: Der LKW ist leer und die Lagerhalle voll. Daraufhin werden alle Kartons geleert und die Spielsachen auf Tischen in der Turnhalle sortiert. Und dann, nach der Arbeit, kommt das Vergnügen: Jeder nimmt sich einen Wunschzettel vom Stapel und geht damit durch die Tischreihen. Wir versuchen, jedem Kind mindestens einen, am besten aber drei Wünsche seines Wunschzettels zu erfüllen. Bei 1.000 Kindern macht das somit 3.000 Geschenke, die wir ausladen, auspacken, auf Tischen anordnen, aussuchen, in Tüten und Kartons packen und anschließend in Geschenkpapier einwickeln. Zur großen “Wrapping Party” trudeln freiwillige Helfer aus der ganzen Gemeinde ein und packen 3.000 Geschenke bei Kaffee und Kuchen ein. Diesem grandiosen Ereignis werde ich leider nicht mehr beiwohnen können, da dies am Tag meiner Abreise stattfinden wird. Ben hat dann das wunderbare Vergnügen, die Geschenke an Weihnachten zu verteilen (natürlich als Weihnachtsmann verkleidet). Das Strahlen der Kinder und das Leuchten in deren Augen wird ihn sicherlich für alle Mühen entschädigen. Mir selbst bleibt keine andere Wahl, als mir dieses Leuchten an Weihnachten in Deutschland vorzustellen und daran zu denken, dass gerade 1.000 Kinder der Cheyenne River Sioux Reservation aufgeregt unsere Geschenke auspacken :-)
Der Toy Drive des CRYP ist in der Tat das größte, wahnsinnigste und schönste Projekt, das ich je kennengelernt habe, und ich bin froh und stolz darauf, ein Teil davon zu sein!
Fotoalbum #8:

Sonntag, 9. Dezember 2007

Indian Country

Alles, was ich zuvor über Indianerreservate wusste, kannte ich aus Büchern oder aus dem Internet. Man erfährt im Allgemeinen nicht allzu viel. Hauptsächlich sind es Zahlen, die die Reservationen zu beschreiben versuchen. Informationen, verpackt in Prozentzahlen: Arbeitslosenquoten, Alkoholismusraten, Angaben zum Einkommen, Diabetesraten, etc. Keine Frage: Das Bild eines Indianerreservates sieht nicht besonders rosig aus.
Doch nun bin ich vor Ort, und was erzähle ich Euch? Dass wir uns im ärmsten Landkreis der USA befinden. Dass 65 % bis 85 % der Einwohner arbeitslos sind, und wahrscheinlich ebenso viele alkoholabhängig. Dass im Durchnschnitt einer von fünf Jungen und eines von drei Mädchen missbraucht werden. Dass die Temperaturen im Winter so weit unter Null fallen, dass hier vor einigen Jahren an die 300.000 Kühe im Stehen erfroren sind.
Doch dies sind ebenfalls Zahlen. Sie bilden die eine Seite der Realität. Es gibt da aber noch die andere Seite, die von den traurigen Zahlen wenig vermuten lässt. Diese Seite ist definiert von der Mentalität der Einwohner hier, die sich vor allen Dingen durch eines auszeichnet: Humor. Die Menschen sind freundlich, lachen viel und reißen einen Witz nach dem anderen.

Thanksgiving: Douglas Familie hat uns Volontäre zum großen Lunch in den Gemeinschaftsraum einer Kirche eingeladen. Hinzu kommt Mandis Familie, die zu Besuch ist. Von Douglas Verwandten ist noch nicht jeder eingetroffen (Indian Time!). Dougs Vater furz-trocken: “We can’t start eating yet. You white guys are outnumbering us. We have to wait for more Indians!

Die Realität IST hart und traurig, die Zahlen stimmen. Doch die Reservatsbewohner sind Indianer! Wer 500 Jahre Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung überlebt hat, wird sich auch in der Moderne nicht ergeben. Und das ist die schöne Neuigkeit: Die Indianer haben ihren Stolz behalten! Man sieht es ihnen an, man hört es ihnen an, und selbst, wenn man sich Ohren und Augen zuhielte, so würde man es dennoch spüren: Die Tradition liegt immer noch in der Luf: Powwows, Sonnentänze, Trommeln und Spiritualität. Alle Häuser und Gebäude, in denen ich bisher war, sind voller indianischer Kunstwerke, die Menschen tragen Jacken, Pullover und T-Shirts mit dem Stammeslogo auf dem Rücken, Handgelenke, Ohren und Hals sind behangen mit indianischem Schmuck, aus den Autos dröhnt lautstarke Powwowmusik bei herab gelassenem Fenster (naja, die meisten Autos haben gar kein Fenster mehr), im Sommer sitzt man im Garten und singt zum Trommelschlag, überall gibt es Kappen und Kleidungsstücke zu kaufen mit den beiden vielsagenden Worten “Native Pride”, dazu Aufkleber in Massen (“Official Indian Car”, “I was Indian before being Indian was cool”) und zig T-Shirts mit Sprüchen wie “Fighting Against Terrorism Since 1492”. Wird man auf offener Straße von Fremden angequatscht (was häufig vorkommt,) erzählen diese stolz von ihrer Kultur und Sprache. Ja, wer Lakota kann, gibt richtig damit an! Der Akzent hier ist übrigens echt süß. Ich meine nicht den Rez-Slang, den die Kids mit Vorliebe verwenden und der mir große Verständnisschwierigkeiten bereitet, sondern den Akzent der älteren Generation, die zum größten Teil flüssig Lakota spricht. Bei ihnen ist die englische Sprache vom Klang des Lakota deutlich beeinflusst, was zu einem wunderschönen Akzent führt. Oft verwendet man in der alltäglichen Kommunikation Lakota-Wörter, um damit Gefühle zu betonen, die das Englische nicht befriedigend auzudrücken vermag. Es gibt sogar einige Radiosender, die ausschließlich in Lakota ausgestrahlt werden.

Die Lakota-Sioux haben sieben Tugenden: Gebet, Respekt, Mitgefühl, Großzügigkeit, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und Weisheit. Diese Tugenden bestimmen jeden einzelnen Aspekt im traditionellen Leben und in der Kultur der Lakota. Bei jedem öffentlichen Anlass wird gemeinsam gebetet. Dazu stehen alle auf, während eine ältere, anerkannte Person das Gebet spricht, in das sich meist viele Wörter in Lakota einschleichen. Beonders aber habe ich die Tugenden Mitgefühl und Großzügigkeit kennen gelernt. So kamen nach unserem üppigen Erntedankfest fünf Obdachlose in den Gemeinschaftsraum der Kirche und luden sich Teller mit Essen voll. Nicht, weil sie unverschämt waren, sondern weil es bei den Lakota so Sitte ist: Jeder Mensch hat ein Recht auf eine Mahlzeit und auf ein Dach über den Kopf. So verwehrt man auch keinem Fremden den Eintritt ins Haus, sondern gewährt ihm Obdach.

Eine lustige Geschichte: Die Familie meiner Chefin gab einmal eine Feier in kleinem Kreise. Es kamen zwei fremde Indianer vorbei, die sich wie alte Kumpels verhielten. Man aß und trank zusammen und hatte reichlich Spaß. Am Abend bedankten die Fremden sich und verschwanden. Als man sich anschließend gegenseitig fragte, “Did you know them?”, schüttelte jedermann verwundert den Kopf.

Parallel zu den sieben Tugenden gibt es sieben Zeremonien. Die wichtigsten sind das Inipi (die Schwitzhütten-Zeremonie), die Hunkapi (eine Zeremonie, die es Stammesmitgliedern erlaubt, Nicht-Stammesangehörige in ihre Familie zu adoptieren), das Wiwanyag Wacipi (die Sonnentanz-Zeremonie) und die Hanbleciya (die Visionssuche). (Ich habe übrigens keine Ahnung, ob ich für die Lakota-Begriffe die passenden Artikel benutze... Deutsch kann kompliziert sein, da lobe ich mir doch das englische “the”!). Die mächtigste Zeremonie der Lakota ist der Sonnentanz, der meistens unter den Sommermonaten stattfindet. Menschen, die nicht zum Stamm der Lakota gehören, ist es meist verwehrt, dieser Zeremonie beizuwohnen (geschweige denn, daran teilzunehmen), da der Sonnentanz eine extrem heilige Angelegenheit ist. Überhaupt sollte jedermann akzeptieren, dass die Religion der Lakota auch nur für diese bestimmt ist, und dass die Teilnahme von anderen Kulturen gegen die Religion wirken und für Ungleichgewicht sorgen kann.
Wer dennoch ein wenig am kulturellen Leben der Indianer teilhaben möchte, sollte sich den Besuch eines Wacipis (Powwows) nicht entgehen lassen. Diese finden ebenfalls hauptsächlich im Sommer und draußen statt. Hierzu bewegen sich Tänzer aus allen Altersgruppen in traditioneller oder kunstvoller, modernerer Lakota-Tracht zur Trommelmusik, die von den männlichen Stammes-mitgliedern – jung und alt – gespielt und gesungen wird. Jeder Song und jeder Tanzstil gibt einen genauen Rhythmus, bzw. eine bestimmte Bewegung vor, an die die Musiker und Tänzer sich halten müssen. Oft gibt es großzügige Preisgelder für die besten Tänzer. Obwohl das Wacipi keine Zeremonie darstellt, lassen sich auch hier zeremonielle Aspekte wieder finden, wie zum Beispiel die Ehrung einer Person oder Gruppe. So bilden die Kriegsveteranen stets einen wichtigen Bestandteil des Grand Entry, bei dem alle Tänzer die Arena als Gruppe betreten und gemeinsam tanzen, bevor der eigentliche Wettbewerb beginnt.
Andere soziale Ereignisse sind Tanzabende im Gemeinschafts-zentrum (in Eagle Butte das Cultural Center), öffentliche politische Treffen, Paraden (in die sich weiße Hula-Hula-Tussis verirren können....hehe) und sogar Beerdigungen. Stirbt jemand aus der Gemeinde, so ist die Chance groß, dass fast jeder Einwohner die Person kannte (wie in meinem Heimatort). Doch hier bleiben manchmal sogar Geschäfte und Schulen geschlossen, damit jeder die Möglichkeit hat, an der Beerdigung teilzunehmen!
In den kleinen Ortschaften der Reservation wird das Wort Gemeinschaft groß geschrieben und man pflegt gewissenhaft Freundschaften und Bindungen. So findet seit einigen Wochen in Rockys Haus jeden Donnerstag die “Survivor" - Night statt. Offizieller Vorwand ist, dass man sich einmal die Woche zum Dinner trifft und sich diese (meiner Meinung nach überaus hohle) Sendung beim Essen reinzieht. Der eigentliche Grund ist jedoch die Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft während der kalten Wintermonate. Egal, wie dämlich die TV-Show ist, ich liebe und schätze es, bei Kaminfeuer und Festschmaus und mit Wokini auf dem Schoß den Wert der Community jede Woche aufs Neue zu erfahren.

Da ich ein Landei bin, habe ich mit dem Kaff-Charakter Eagle Buttes zum Glück kein Problem. Ich liebe es, spazieren zu gehen und mir die Gegend anzuschauen: schöne Häuser, schäbige Häuser, gepflegte Gärten, Müllhalden um das komplette Haus herum, riesige Pick Ups, alte (aber schöne!) Karren kurz vor dem Zusammenfall und bedeckt mit Einschusslöchern, Wohntrailer, in denen bis zu zehn Personen “wohnen”, und: überall Hunde! Manche hat man in der Zeit zum Freund gewonnen, während andere versuchen, dir beim Fahrradfahren ins Bein zu beißen. Es gibt da einen lieben, schwarzen Hund, der mich oft zum LTM begleitet. Ich habe stets Mühe, ihn davon abzuhalten, mir nicht auch noch in den Supermarkt zu folgen.
Ist man zu Fuß unterwegs, (und wir Volontäre sind, abgesehen von den Obdachlosen, die einzigen, die hier zu Fuß unterwegs sind) winken uns viele Leute zu oder hupen gar wild drauf los. In 99% der Fälle habe ich keine Ahnung, wer das ist. Doch als (deutsche) Main-Arbeiterin ist man hier schnell bekannt (und die Teletubby-Nummer hat meinen Bekanntheitsgrad sichtlich erhöht). Wobei es gar nicht so lustig ist, Deutsche zu sein. Erstens wegen unserer beschämenden Vergangenheit, und zweitens wegen der extrem romantischen Indianervorstellung der meisten Deutschen (Karl May sei Dank). Auf der Verblendungsskala von 1 bis 10 befinden wir Deutschen uns auf 11, wenn es um das Bild des Indianers geht. Das Main hat jedes Jahr viele Freiwillige aus Deutschland, und viele von ihnen kommen aus den absurdesten Gründen hier hin: Sie wollen sich einen indianischen Mann angeln, sind auf der Suche nach ihren Seelenverwandten oder hegen die Hoffnung, adoptiert zu werden und einen indianischen Namen zu erlangen. Und da es von dieser Sorte hier schon einige dolle Beispiele gegeben hat, fällt es mir ehrlich gesagt ein wenig schwer, meine Herkunft preiszugeben und mich als Deutsche zu outen. Viele Menschen fragen mich, warum so viele Deutsche ins Reservat kommen, und warum wir Deutschen so indianerverrückt sind. Ich antworte jedesmal achselzuckend: “I think it’s because of Karl May.” (Woraufhin jeder fragt: “Whoooo?”) Meine Erklärung ist im Grunde genommen äußerst absurd, in Anbetracht der Tatsache, dass ich noch nie im Leben ein Buch von Karl May gelesen habe. Aber schon als Kind habe ich Nase rümpfend den Sender gewechselt, wenn Winnetou über den Bildschirm hoppelte, obwohl ich damals sicherlich noch nicht einmal das Wort Stereotypie aussprechen konnte. Auch ich kann mich natürlich nicht von romantisierender Indianerliteratur freisprechen, doch ich kann sagen, dass ich Glück hatte: Mit etwa 18 Jahren fiel mir ein Buch von Sherman Alexie in die Hände, und von da an war ich verliebt in seine Prosa und Poesie. Der Coeur d’Alene/Spokane Indianer ist ein Meister der Ironie und ist bekannt für seine humorvollen, oft sarkastischen Geschichten über das Leben heutiger Indianer. Der Autor, der mittlerweile vom Spokane-Reservat in Washington nach Seattle gezogen ist, ist ein Meister in der authentischen Darstellung des Lebens heutiger Reservats- und Stadtindianer, die dennoch mit fiktionalen Elementen durchzogen ist, so dass man seine Kurzgeschichten und Romane als “Reservations-Realismus” bezeichnen könnte. Aber ich verliere wie immer beim Thema Sherman Alexie vor lauter Schwärmerei den roten Faden und komme nun zurück zur Cheyenne River Reservation.
Ich hatte keine Ahnung, was mich hier erwarten würde. Ich bin zwar (hoffentlich) weitgehend unverblendet ins Reservat gekommen, doch hatte ich keine genaue Vorstellung von diesem Ort. Und wenn ich mir vor meiner Ankunft das Reservat gedanklich ausmalte, so verwendete ich stets die Bilder, die mir beim Lesen von Alexies Kurzgeschichten in den Sinn kamen.
Die Realität hat mich umgehauen! Alles ist genau so, wie Alexie es in seinen Büchern beschreibt! Diet Pepsi, Basketball, Trommelschlag, Monotonie, Langeweile, Verrücktheit, und auch hier vor allen Dingen eines: Humor. Den schreibt der Autor besonders groß.

Humor is self-defense on the rez. You make people laugh and you disarm them.” (SHERMAN ALEXIE)

Im Grunde fühle ich mich in Alexies Prosa versetzt. Und ich kann euch nicht beschreiben, was für ein Gefühl es ist, sich selbst in den Geschichten wieder zu finden, die man so oft gelesen hat, dass man sie beinahe auswendig kann. Es macht mich glücklich.

Samstag, 8. Dezember 2007

Kokopellis everywhere...

Diejenigen, die mich kennen, wissen, was für ein Kokopelli-Fanatiker ich bin. Der kleine tanzende Flötenspieler mit Buckel und Irokesenfrisur (die man hier übrigens als “Mohawk” bezeichnet) soll mit seinem Flötenspiel nach einer längeren Dürreperiode den Regen herbei rufen und damit Fruchtbarkeit ins Land bringen. Er ist hauptsächlich im Südwesten des Landes auf Felsen und Höhlenwänden zu finden und hat mit den Büffeljägern der Plains kaum etwas am Hut. Dennoch erweist sich South Dakota überraschenderweise als Kokopelli-Paradies schlechthin! Die tanzenden Flötenpunks hüpfen überall herum: auf Ohrringen, Ketten und Armbändern, auf Duschvorhängen, Zahnputzbechern, Badematten und Klobürstenbehältern, auf Handtüchern, Topflappen und Tischdecken. So viele Kokopellis, dass einem die Ohren ringen vor lauter Flötenspielerei!
Ich brauche wahrscheinlich kaum zu erwähnen, dass ich mich u.a. mit einer kompletten Badezimmer- und Küchenausstattung ausgesrüstet habe und nun händeringend nach einem günstigen internationalen Paketservice suche...
Ein Bild von Fanatismus

Sonntag, 2. Dezember 2007

Updated Census Facts about American Indians

CB07-FF.18 Oct. 29, 2007

American Indian and Alaska Native Heritage

Month: November 2007

The first American Indian Day was celebrated in May 1916 in New York. Red Fox James, a Blackfeet Indian, rode horseback from state to state, getting endorsements from 24 state governments, to have a day to honor American Indians. In 1990, President George H.W. Bush signed a joint congressional resolution designating November 1990 as "National American Indian Heritage Month." Similar proclamations have been issued every year since 1994. This Facts for Features presents data for American Indians and Alaska Natives, as this is one of the six major race categories.


Population

4.5 million
As of July 1, 2006, the estimated population of American Indians and Alaska Natives, including those of more than one race. They made up 1.5 percent of the total population.

45,000
Increase in the nation’s American Indian and Alaska Native population from July 1, 2005, to July 1, 2006. The population of this group increased by 1 percent during the period.

31
Median age of the American Indian and Alaska Native population in 2006, younger than the median of 36.4 for the population as a whole. About 1.3 million American Indians and Alaska Natives were younger than 18, and 352,000 were 65 and older.

688,500
The American Indian and Alaska Native population in California as of July 1, 2006, the highest total of any state in the nation. California was followed by Oklahoma (397,000) and Arizona (331,200).
About 8,100 American Indians and Alaska Natives were added to Arizona’s population between July 1, 2005, and July 1, 2006. That is the largest numeric increase of any state. Georgia
(3.7 percent) had the highest rate of increase during the period.

9
Number of states where American Indians and Alaska Natives were the largest race or ethnic minority group in 2006. These states are Alaska, Arizona, Idaho, Montana, New Mexico, North Dakota, Oklahoma, South Dakota and Wyoming.

11
Number of states with more than 100,000 American Indian and Alaska Native residents on July 1, 2006. These states were California, Oklahoma, Arizona, Texas, New Mexico, New York, Washington, Florida, North Carolina, Michigan and Alaska. Combined, these states were home to 62 percent of the nation’s American Indian and Alaska Native residents.

18%
The proportion of Alaska’s population identified as American Indian and Alaska Native as of July 1, 2006, the highest rate for this race group of any state. Alaska was followed by Oklahoma and New Mexico (11 percent each).

150,000
The number of American Indians and Alaska Natives in Los Angeles County, Calif., as of July 1, 2006. Los Angeles led all of the nation’s counties in the number of people of this racial category.
Maricopa County, Ariz., added about 3,700 people to this group between July 1, 2005, and July 1, 2006, leading the nation’s counties in this category.

28
Number of counties or county equivalents nationwide that were majority American Indian and Alaska Native, as of July 1, 2006. Wade Hampton Census Area, Alaska, led the way, with 94 percent of its population being a member of this race group. (Among counties or equivalents with total populations of 10,000 or more, 10 were majority American Indian and Alaska Native, led by Shannon, S.D., at 88 percent.)

301,800
The nation’s Cherokee alone population. Cherokee is one of the nation’s largest tribal groups, along with Navajo (alone), which has a population of 296,100. Source: 2006 American Community Survey for the American Indian and Alaska Native alone population.

Families and Children

540,600

The number of American Indian and Alaska Native families.

Of these:
- 316,900 are married-couple families, including those with children.
- 150,200 are married couples with their own children, under the age of 18.

3.55
Average number of people in an American Indian and Alaska Native family. This is larger than the national average size for all families (3.2 people).

Housing

56%
The percentage of American Indian and Alaska Native households who own their own home.
$108,700
Median value of homes owned by American Indians and Alaska Natives.

Languages

28%

Percentage of American Indians and Alaska Natives 5 years and older who speak a language other than English at home.

Education

76%
The percentage of American Indians and Alaska Natives 25 and older who have at least a high school diploma. Also, 13 percent have at least a bachelor’s degree.

142,800
Number of American Indians and Alaska Natives 25 and older who have a graduate or professional degree.

Unless otherwise indicated, the above data come from the 2006 American Community Survey for the American Indian and Alaska Native alone population.

Businesses

$26.9 billion
Receipts for American Indian- and Alaska Native-owned businesses in 2002. These businesses numbered 201,387.

20,380
Number of American Indian- and Alaska Native-owned firms in the Los Angeles-Long Beach-Riverside Combined Statistical area, making that area number one in the metro category. Among counties, Los Angeles had the highest number of firms (13,061).

38,125
Number of American Indian- and Alaska Native-owned firms in California, which led the states. Oklahoma, Texas, New York and Florida followed.

Nearly 3 in 10
Number of American Indian- and Alaska Native-owned firms that operated in construction and other services (such as personal services, and repair and maintenance).

24,498
Number of American Indian- and Alaska Native-owned firms that had paid employees. These businesses employed 191,270 people.

3,631
Number of American Indian- and Alaska Native-owned firms with receipts of $1 million or more. These firms accounted for nearly 2 percent of the total number of American Indian- and Alaska Native-owned firms and more than 64 percent of their total receipts.

178
Number of American Indian- and Alaska Native-owned firms with 100 or more employees. These firms generated nearly $5.3 billion in gross receipts — 24 percent of the total revenue for American Indian- and Alaska Native-owned employer firms.

New York; Los Angeles; and Gallup, N.M.
The three cities with the largest number of American Indian- and Alaska Native-owned firms, with 7,134; 5,767; and 2,642, respectively.

Jobs

25%
The percentage of civilian employed American Indian and Alaska Native people 16 and older who worked in management, professional and related occupations. In addition, 23 percent worked in sales and office occupations and 22 percent in service occupations.

Source: 2006 American Community Survey for the American Indian and Alaska Native alone population.

Caregivers

56%

Percentage of American Indians and Alaska Natives 30 and older who lived with grandchildren and were responsible for caring for them. The corresponding rate for the population as a whole was 41 percent.

Veterans

168,300

The number of American Indian and Alaska Native veterans of the U.S. armed forces.

Income and Poverty

$33,762

The median income of households where the householder reported being American Indian and Alaska Native and no other race.

27%
The poverty rate of people who reported they were American Indian and Alaska Native and no other race.

There is a wide variation in the demographic characteristics of American Indians and Alaska Natives. For instance, members of the Chippewa (alone) tribal group had a median household income of $36,481, while for Navajos (alone), median household income totaled $27,815.

Unless otherwise indicated, the previous data come from the 2006 American Community Survey for the American Indian and Alaska Native alone population.

Health Insurance

31%
The percentage of people who reported they were American Indian and Alaska Native and no other race who lacked health insurance coverage, based on a three-year average. Source: Income, Poverty, and Health Insurance Coverage in the United States: 2006,


A list of observances covered by the Census Bureau’s Facts for Features series in 2007:

African-American History Month (February) Labor Day (Sept. 3) Super Bowl XLI (Feb. 4) Grandparents Day (Sept. 9) Valentine’s Day (Feb. 14) Hispanic Heritage Month (Sept. 15-Oct. 15) Women’s History Month (March) Unmarried and Single Americans Week (Sept. 16-22) Irish-American Heritage Month (March)/ Launch of Sputnik: 50th Anniversary (Oct. 4)
St. Patrick’s Day (March 17) Halloween (Oct. 31) Asian/Pacific American Heritage Month (May) American Indian/Alaska Native Heritage Month Older Americans Month (May) (November) Cinco de Mayo (May 5) The 2008 Presidential Election Mother’s Day (May 13) Veterans Day (Nov. 11) Hurricane Season Begins (June 1) Thanksgiving Day (Nov. 22) Father’s Day (June 17) The Holiday Season (December) The Fourth of July (July 4) Anniversary of Americans with Disabilities Act (July 26) Back to School (August)


Editor’s note: The preceding data were collected from a variety of sources and may be subject to sampling variability and other sources of error. Facts for Features are customarily released about two months before an observance in order to accommodate magazine production timelines. Questions or comments should be directed to the Census Bureau’s Public Information.

Montag, 26. November 2007

Heiliges Land der Lakota #2: Die Badlands

Die Badlands im Südwesten von South Dakota bieten einen einzigar-tigen Anblick. Alles erscheint sandfarben, fast weiß, und die seltsamen Formen des Gebirges wirken zugleich unheimlich und wunderschön. Vor mehr als 35 Millionen Jahren befand sich hier ein riesiger Salzwassersee, der sich später in ein Sumpfgebiet verwandelte. Dieses Marschland verschlang die Überreste von Säugetieren wie dem Säbelzahntiger und wurde schließlich komplett von weißer Vulkanasche bedeckt. Heute hat man das Gefühl, über Marmor zu laufen, der sich unter den eigenen Füßen in Sand verwandelt. Die Steine lassen sich zwischen den Fingern zerbröseln, und man hat ständig Angst, dass der Grund unter den Füßen in Asche zerfällt und dich mit in die Tiefe reißt. Die Badlands sind sicherlich ein atemberaubender Anblick für die Augen, aber wer die Kondition und den Mut hat, sollte sich die Chance auf eine abenteuerliche Klettertour nicht entgehen lassen. Da man sich in den Badlands leicht verlaufen kann, sind für die Touristen extra Kletterpfade angelegt worden, die einen unter anderem eine extreme steile und extrem schaukelnde, brüchig wirkende Stufenleiter hoch und wieder runter jagen. Adrenalin pur!
Soviel Spaß diese Trails für Touristen wie mich bedeuten – für die Indianer sind sie ein Eingriff in ein höchst heiliges Land. Die Sioux tauften diese seltsamen Formationen der Natur “Mako Sica” – wörtlich übersetzt “Land schlecht”. Frühe französische Trapper entlehnten dies in ihre Sprache als “Mauvaises Terres `a Traverser", “schlechtes Land zum Durchreisen”. Man nennt das Gebiet passenderweise auch “Hölle mit offenem Feuer”
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. "the beauty and the strangeness of the earth" (BLACK ELK)
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Aber genug der Worte. Folgt nun dem Link und verliebt Euch beim Anblick der Bilder in ein Land, das weitaus schöner ist, als sein Name es vermuten lässt.

Dienstag, 20. November 2007

Freitag, 16. November 2007

Diskussionsthema der Woche: Wie kann ich mich entladen?

Das Problem: Ich bin ein statisches Monster.

Die normale Situation: Ich packe an die Türklinke und bekomme einen gezockt.
Normale Reaktion: Ich ziehe die Hand schnell zurück und sage mit einem entsetzten Gesichtsausdruck “aaaah”.

Die schwerwiegendere Situation: Ich bekomme alle paar Minuten einen gezockt, und dabei ist es egal, was ich anfasse. In dieser schwerwiegenderen Situation kann es des öfteren vorkommen, dass ich meine überschüssige Energie an unschuldigen Mitmenschen entlade, die sich daraufhin schnell von mir zurückziehen und mit einem wütenden Gesichtsausdruck vorwurfsvoll “aaah” sagen.

Die Extremsituation: Ich fasse an den Lichtschalter und bekomme dermaßen einen gewischt, dass mein rechter Mittelfinger und mein rechter mittlerer Zeh mehrere Minuten lang schmerzen wie Sau. Während meine Hand den Lichtschalter berührt, entlädt sich dort ein blauer Blitz in Form einer Kugel so groß wie eine Murmel (und das ist NICHT übertrieben).
Extreme Reaktion: Ich kreische auf wie nie zuvor und hüpfe auf dem linken Bein im Kreis herum, bis mir aufgeht, wie dämlich das aussehen muss. Mein Herz rast wie bescheuert und ich hätte grad mal Lust zu heulen.

Die negativen Folgen meiner Erfahrungen als Blitzableiter: Ich habe mich durch das traumatische Erlebnis mit dem Lichtschalter in ein ängstliches Weichei verwandelt, das jedesmal, bevor es Lichtschalter oder Türklinken anfasst, erst einmal einen Fuß aus dem Birkenstock holt und auf den Boden setzt (sowas nennt man Do-it-yourself-Erdung) und mit der Fingerspitze vorsichtig mehrmals auf die Türklinke oder den Lichtschalter tippt.

Leute, ich brauche professionelle Hilfe!! Wer hat ähnliche Erfahrungen und kann mir Tipps geben? Das Diskussionsforum ist hiermit eröffnet. Ich hoffe auf Eure Unterstützung!! (Ansonsten ende ich beim nächsten Haareföhnen noch als gegrilltes Huhn....)

Mittwoch, 14. November 2007

Rückblick #3: The last of the Germans

Deutschland, in 5 Wochen hast du mich wieder!

Dieser Gedanke schwirrt mir immer öfter im Kopf herum. Er vermischt sich mit Vorfreude auf Heimat, Familie und Freunde, und dreht mir gleichzeitig den Magen um bei dem Gedanken, meine zweite Heimat, zweite Familie und neuen Freunde zu verlassen. Aber so ist es im Leben: Ein Kommen und Gehen, hallo und auf wiedersehen.
Kristina ist seit zwei Wochen wieder zurück in Deutschland, sodass ich die einzige Deutsche im Main bin. Wir sind nun nur noch zu dritt, und wenn Mandi nächste Woche zurück nach Pennsylvania geht, sind Ben und ich die letzten Freiwilligen hier. Die ängstliche Frage, wie man zu zweit die Horde Kinder unter Kontrolle bringen kann, hat sich dank dem Weihnachtsmann erledigt: Pünktlich zum Adventsbeginn schließt das Main, da zu dieser Zeit die Weihnachtsvorbereitungen beginnen (mehr dazu demnächst).
Die Anzahl der Kinder hat sich im Durchschnitt auf 50 pro Tag erhöht. Ich erinnere mich an diesen einen Samstag, als wir 60 Kinder im Main hatten und anschließend beinahe Amok gelaufen wären. Wenn wir nun 60 Kinder unterhalten müssen, ist es fast schon Routine. Mit der Anzahl der Main-Besucher hat sich auch das Alter der Kids und die Zahl der Zwischenfälle erhöht. Wir haben mehr und mehr Jugendliche, die hier “abhängen”, und mehr und mehr Schlägereien & Co. Die Großen bauen Mist, und die Kleinen machen es ihnen nach, weil sie ebenso cool sein wollen. Normales Verhalten von Kindern und Jugendlichen eben.
Ich muss an dieser Stelle lachen, denn vieles, was mich vor drei Monaten noch zur Verzweiflung getrieben hätte, ist für mich mittlerweile normal. Letzten Samstag habe ich wortwörtlich in die Scheiße gerafft, weil irgendein Kind die lustige Idee hatte, seinen (?) Kot über den kompletten Lichtschalter im Bad und an die gegenüberliegende Wand zu schmieren. Am nächsten Tag wurde die Scheibe über meinem Kopf im Wohnzimmer eingeschlagen, als ich gerade gemütlich auf dem Sofa lag und DVD schaute. Gleich zweimal mussten wir letzte Woche die Polizei rufen, da ein paar Teens urplötzlich ausrasteten und angriffslustig wurden. Ich weiß nicht, ob ihr mich überhaupt noch Ernst nehmt, aber: Ich liebe die Kids und werde sie vermissen!
Seit sechs Wochen läuft unsere “Main University”, zu deren Rektorin ich auserkoren wurde (ich hab’s damit in die lokale Zeitung geschafft): Acht Wochen lang bieten wir täglich von montags bis donnerstags verschiedene Kurse an, die alle Kinder zwischen 4 und 14 Jahren besuchen dürfen. Im Angebot befinden sich: “Tour of the World”, eine Art Geographie-Kurs für die jüngeren Kinder; “Storytelling”, ein Kurs, der mit der Aufführung eines Puppenspiels endet; “Gods and Heroes”, ein Kurs über griechische Mythologie; “Spanish”, Kristinas Spanischkurs, der mit ihrer Abreise leider geendet hat; und “The Main’s Newspaper”, mein Kurs, in dem wir zusammen eine Zeitung gestalten. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer sein wird, die Kinder zu motivieren. Ihre Lesefähigkeit liegt weit unter dem Durchschnitt, und es fällt ihnen wahnsinnig schwer, eine Stunde konzentriert zu arbeiten. Eine gute Herausforderung für eine künftige Lehrerin.
Die Arbeitszeit hat sich auch mal wieder geändert: Das Main schließt nun wegen der Wintermonate und der schwindenen Zahl an Volontären um 19 Uhr statt um 20 Uhr. Zudem werden wir nächste Woche eine Gruppe zu Besuch haben: 16 sechzehnjährige Jungen einer High School, die allesamt in unserer Bibliothek schlafen werden und permanenter Aufsicht bedürfen. Herrje, das wird ein Spaß! (Definition Ironie: Eine Äußerung, die oft das Gegenteil des Gesagten meint.)
Nächste Woche Donnerstag ist Thanksgiving (Erntedankfest), das hier wie Weihnachten gefeiert wird. Im Grunde bedeutet dies: fressen bis der Arzt kommt.
Das Wetter ist typisch süddakotisch (nettes Adjektiv): sonnig, kalt, warm, arschkalt, T-Shirt-warm, windig, stürmig, Warten auf Schnee. Im Durchschnitt hält sich die Temperatur beim Gefrierpunkt. Das Schöne: Es scheint fast immer die Sonne.
Ansonsten gibt’s nicht viel Neues. Mein Notebook ist aus unerklärlichen Gründen kaputt (der Bildschirm ist zerstört, so als ob jemand mit einem Gegenstand auf ihn eingehauen hätte), Wokini wächst und wächst, das Fohlen ist immer noch im Garten (aus zwei Wochen Notunterkunft ist ein Holiday-Inn für verwaiste Mustangfohlen geworden), ich habe momentan meine erste Mehr aktuelle Bilder von Wokini im Fotoalbum #3 saftige Erkältung (weil ich ohne Winterjacke im eisigen Wind zum Dairy Queen gestiefelt bin, um dort ein Eis zu essen...), und ich habe mich Freitag auf der Main Street zum Affen gemacht, als ich dort als eine Kreuzung aus Teletubby und Glücksbärchen verkleidet Spenden gesammelt habe. Als ich zwei Tage später an der Tankstelle im Auto saß, zeigte ein älterer Mann auf mich und sagte zu einem anderen älteren Mann: “Look, there’s the Teletubbie again!

“Only laughter can save us.” (SHERMAN ALEXIE)

Dienstag, 23. Oktober 2007

Heiliges Land der Lakota #1: Die Black Hills

An meinem ersten Wochenende in South Dakota hatte ich das Vergnügen, die Black Hills zu besuchen. Ich möchte Euch meine Eindrücke dieser so unbeschreiblich schönen Gegend nicht vorenthalten und nehme Euch nun mit auf eine Reise durch das heilige Land der Lakota.
Ich, ausnahmsweise mal ganz groß

Wenn sich Touristen mal nach South Dakota verirren sollten, so zieht es sie meist direkt in den Südwesten des Staates, wo die Badlands und die Black Hills beheimatet sind - zwei der dramatischsten, geheimnisvollsten und Legenden umwobensten Landschaften in den USA. Für die Weißen rufen sie Erinnerungen hervor an die Eroberung des amerkansichen Westens, während sie für Indianer einen hochgradig spirituellen Ort darstellen. Für viele Sioux-Generationen war und ist der Wert der Black Hills unermesslich. Die Berge werden als das Herz von allem Existenten angesehen. Sie sind die Heimat vieler Geister und stellen einen spirituellen Ort der Sicherheit dar. Krieger zogen sich in die heilige Berge zurück, um dort zu Wakan Tanka, dem großen Geist, zu beten und um Visionen zu empfangen.

Die Fichten und norwegischen Kiefern, die die Black Hills bedecken, erscheinen nur aus der Ferne schwarz.

Mitte des 19. Jahrhunderts verfasste die amerikanische Regierung einen Vertrag, der die Black Hills und den größten Teil des Landes westlich des Missouri Rivers den Indianern übertrug, da man in dieser Gegend keinerlei Nutzen entdecken konnte. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als dort im folgenden Jahrhundert Gold gefunden wurde und sich somit der indianische Garten Eden in ein El Dorado für Forscher und Goldsucher verwandelte. Wie so oft in der amerikanisch-indianischen Geschichte wurde auch hier ein Vertrag gebrochen, doch die Strategie ist diesmal besonders hinterhältig: Im Jahre 1890 forderte der amerikanische Gerichtshof die Regierung auf, den Sioux 150 Millionen Dollar zu zahlen, und zwar als Ausgleich für deren illegale Aneignung des Landes im Jahre 1877. Nach einer hitzigen Debatte unter den indianischen Führern wurde dieses Angebot jedoch abgelehnt. Der Streit zwischen der US-Regierung und den Sioux um die Black Hills hält noch immer an und stellt ein trauriges Beispiel dar für die weiße Definition von Erbe und Versprechen.


"Our people knew there was yellow metal in little chunks up there, but they did not bother with it, because it was not good for anything." (BLACK ELK, heiliger Mann der Oglala Sioux)

In den Black Hills entstand auch ein Teil von Kevin Costners "Der mit dem Wolf tanzt". Der Schauspieler und Regisseur machte sich jedoch bei den Lakota äußerst unbeliebt, als er plante, einen Golfplatz in den Black Hills zu eröffnen. (Tamaras Freund Douglas und dessen Bruder spielten übrigens als Komparsen im Film mit und berichten, dass Costner die indianischen Schauspieler mit wenig Respekt behandelt habe.)
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Mount Rushmore Memorial

Im Jahre 1923 kamen der amerkanische Geschichts-wissenschaftler Doane Robinson und der Bildhauer Gutzon Borglum auf die verrückte Idee, einen der riesigen Granitfinger der Black Hills in ein imposantes, patriotisches Kunstwerk zu verwandeln. Dafür wählte Borglum einen Berg aus, der nach dem New Yorker Rechts-anwalt Charles E. Rushmore benannt ist, und auf dem man heute die vier Köpfe namhafter amerikanischer Präsidenten bewundern kann: George Washington, Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Borglums Freund Theodore Roosevelt.
Borglum war 60, als er 1927 das gigantische Projekt begann. Vierzehn Jahre später starb er. Zurück blieben ein noch nicht vollendeter Roosevelt und 200.000 Dollar Schulden. Erst sechseinhalb Jahre später, im Jahre 1939, wurde das Monument vollendet, mit einem Gesamtwert von 993.000 Dollar.

Ein Motiv, das man aus dem Film "Powwow Highway" kennt.


Crazy Horse Memorial
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Es war einmal ein Sioux-Häuptling namens Henry Standing Bear, der eines Tages von einem wahnsinnig großen und wahnsinnig amerikanischen Denkmal namens Mount Rushmore erfuhr. Man kann sich in etwa vorstellen, was in dem Kopf eines Indianers vorgeht, in dessen heiliges Land soeben vier Köpfe amerikanischer Präsidenten überdimensional groß in Stein gemeißelt worden sind. Dieser Häuptling wendete sich daraufhin kurzerhand mit den folgenden Worten an den Bildhauer Korczak Ziolkowski: "My fellow chiefs and I would like the white man to know the red man has great heroes, too." Mit seinem Brief lädt Standing Bear den Neuengländer in die Black Hills ein, um dort ein Denkmal für Crazy Horse zu meißeln, dem wohl berühmtesten aller Lakota-Indianer, der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in den Black Hills geboren wurde. Bevor Ziolkowski jedoch zusagt, setzt er sich zunächst intensiv mit der Geschichte des berühmten Kriegers auseinander. Fasziniert von dessen Leben und Taten und ganze sieben Jahre später beschließt Zielkowski, sein Denkmal zum größten Monument der Welt zu machen. Dazu gibt er sein bisheriges Leben komplett auf und zieht in die Black Hills. Der Berg Thunderhead Mountain soll von nun an Korczaks Arbeitsplatz und Heimat zugleich sein. Er schläft am Fuße des Berges in einer kleinen Hütte und steigt mehrmals täglich die 741 Stufen zum Gipfel hinauf, um sich dort seinem Lebenswerk hinzugeben: Ein steirnernes Monument von Crazy Horse, der auf dem Pferderücken sitzt und mit seiner linken Hand in die Wälder der Black Hills zeigt: “My lands are where my dead lie burried.”

Bis zu seinem Tod im Jahre 1982 opferte Zielkowski den Rest seines bescheiden-en Lebens vollkommen für sein gigantisches Werk auf. Er begann mit fast 40 Jahren und einem Vermögen von nur 174 Dollar. An der Eröffnungsfeier nahmen fünf der neun Indianer teil, die die Schlacht am Little Bighorn überlebt hatten. Der atemberaubende Kopf des Kriegers aus Stein wurde rechtzeitig zum 50-jährigen Jubiläum 1998 fertig gestellt – und es könnte noch gut weitere 50 Jahre dauern, bis das Denkmal vollendet sein wird. Wie so oft fehlt es nämlich auch hier an finanziellen Mitteln. Zielkowski selbst hat insgesamt 4 Millionen Dollar aufgetrieben und ausgegeben. Er weigerte sich stets, staatliche Unterstützung anzunehmen und verließ sich stattdessen ausschließlich auf Eintrittsgelder und private Spenden. Er lehnte sogar 10 Millionen Dollar vom Staat ab, da er der Ansicht war, dass die Regierung nach all den gebrochenen Verträgen mit den Sioux kein Recht dazu hätte, sich in diese Angelegenheit einzumischen.
Wenn man heute auf der Aussichtsplattform steht, mag man es kaum glauben, dass das steinerne Monument mehr als 1 km entfernt ist, und dass das weiße, 6 m hohe Modell vierunddreißig mal kleiner ist als das geplante Endresultat, welches 172 m hoch und 195 m lang sein wird! Alle vier Präsidentenköpfe des Mount Rushmore passen in Crazy Horses Kopf!



Die Arbeit hat mit Zielkowskis Tod keinesfalls aufgehört. Seine Witwe, seine Kinder und seine Enkelkinder bemühen sich nun an seiner Stelle, seinen Traum zu verwirklichen und somit dem weißen Mann vor Augen zu halten, dass auch die Indianer (im wahrsten Sinne des Wortes:) große Helden haben.

Für mehr Informationen, gehe zu: http://www.crazyhorse.org/

Samstag, 20. Oktober 2007

Moderne Krieger

(Das Folgende ist nicht bestimmt für besorgte Freunde und vor allen Dingen nicht für meine Eltern!!!)

Eben sind Ben und ich zu Fuß ins LTM gegangen, um unseren erbärmlich dreinschauenden Kühlschrank zu füttern. Auf dem Weg dorthin begegneten wir einigen Jugendlichen auf einer bewohnten Straße. Ein Junge, vielleicht 18, 19 Jahre alt, entdeckte uns und verwickelte uns prompt in ein Gespräch. Es war pure Neugier, die ihn dazu bewegte. In Eagle Butte ist circa 20 % der Bevölkerung weiß, sodass wir zwar ein seltenes, aber nicht wirklich ungewöhnliches Paar abgegeben haben. Was uns jedoch interessant für ihn machte, war die Tatsache, dass wir a) zu Fuß unterwegs waren (hier legt jeder die noch so kleinste Distanz mit dem PKW zurück) und uns b) in einer Gegend aufhielten, in der überwiegend Indianer leben.
However, der Typ war mächtig erfreut, uns beide kennen zu lernen, und wollte wissen, wo wir herkommen und warum wir uns um diese Zeit noch auf der Straße aufhielten. Die meiste Zeit jedoch sprach er von sich selbst und erklärte uns stolz, dass er Vollblutindianer und Gangster sei. Zudem würde er eine Knarre bei sich tragen. Nachdem Ben und ich auf diesen scheinbaren Scherz hin ein gespieltes und wahrscheinlich sehr dämliches Lachen von uns gegeben hatten, hob der Kerl sein T-Shirt hoch und entblößte eine waschechte Pistole, die in seinem Hosenbund steckte. (Mama, Papa, ich hab doch gesagt, Ihr sollt NICHT weiter lesen!!) Er lachte über unsere verdutzten Gesichter und entschuldigte sich. Er hätte uns nicht erschrecken wollen. Jeder trage hier ne Knarre, alles zum Selbstschutz. Er würde uns nichts antun, im Gegenteil: Wenn wir Hilfe bräuchte, wäre er für uns da. Soso.
In Deutschland wäre ich wahrscheinlich schreiend davon gelaufen, wenn mir vorm REWE ein Fremder stolz sein Wumme präsentiert hätte. Aber wir sind hier im Amiland, und – most of all – in einem Indianerreservat! Hier trägt tatsächlich fast jeder eine Pistole bei sich. Der Typ gehört wahrscheinlich zu einer der beiden Gangs hier im Rez. Ich konnte nicht erkennen ob rot oder blau. Jedenfalls haben die Teens hier nicht viel zu tun, von daher ist es eine richtige Modeerscheinung, ein Crip oder Blood zu sein und dies auch raushängen zu lassen. Die gegnerische Gang wird mit Freude bekämpft, und falls kein Gegner in Sichtweite ist, pöbelt man in Situationen von Langeweile halt andere unschuldige Leute an. Daher war es recht ungewöhnlich, von einem Gangmitglied mit soviel Respekt behandelt zu werden.

Versteht mich nicht falsch. Ich mache mich hiermit keinesfalls lustig über die gegebene Situation, und ich bin auch lange nicht so naiv, wie es wahrscheinlich den Anschein macht. Doch wenn man eine Zeit lang im Reservat gelebt hat, versteht man bald die Regeln und kann leicht einschätzen, wann eine Situation normal ist und wann es Zeit wird, sich in die Hosen zu machen. Und hier ist vieles gewöhnlich, was in Deutschland nach den Cops schreien würde! Man gewöhnt sich eben an alles.

Mittwoch, 17. Oktober 2007

Rückblick #2: . . . . z e i t l o s . . . .

Die Hälfte meines Aufenthaltes im Reservat liegt nun hinter mir. Ich kann es kaum glauben. Noch nie in meinem Leben ist die Zeit so schnell vorüber gegangen wie hier. Und dabei lebe ich absolut zeitverpeilt. Ich weiß im Grunde nie, welchen Tag des Monats wir gerade haben. Das ist gefährlich: Denn in Deutschland gibt es immerhin viele liebe Menschen, die zwischen August und Dezember Geburtstag haben! Hinzu kommt die so genannte „Indian Time“: Wenn ein Indianer um 12 Uhr mittags zum Essen einlädt, kann es gut sein, dass um 14 Uhr erst der Tisch gedeckt wird. So läuft es hier ständig: Immer mit der Ruhe, alles mit der Zeit. Trifft man sich also zum Dinner oder Pokern, dann wird dann offiziell begonnen, bis alle eingetroffen sind oder bis alles fertig ist. Und das ist im Grunde nie zur vereinbarten Zeit (wenn überhaupt eine Zeit vereinbart worden ist). Für mich ist das der beste Platz auf Erden, da ich ein Mensch bin, der ständig zu spät ist. Ich liebe die Indian Time! Zum Verhängnis wird es für mich wohl erst, wenn ich wieder nach Hause komme…
Es ist seltsam: Die erste Hälfte kommt mir zurückblickend wie eine Ewigkeit vor. Wenn ich jedoch an meine Rückreise denke, habe ich das Gefühl, dass diese schon sehr bald ist. Kann es eigentlich sein, dass mein erster Rückblick im Blog einen sanften Hauch von Heimweh andeutet? Der ist jedenfalls schneller als der Wind verflogen (was für eine Metapher!), und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Ich fühle mich endlich zu Hause. Das habe ich hauptsächlich Rockys Familie zu verdanken, die mit der Zeit auch meine Familie geworden ist. Ich gehe dort ein und aus und bin nun ein weiteres Familienmitglied der großen Familie. Wir reden schon jetzt von dem nahenden Abschied, der uns allen wahrscheinlich sehr wehtun wird. Rocky Mutter möchte, dass ich bleibe und hier mit ihnen lebe. Wenn mir also in Deutschland eines Tages mal die Decke auf den Kopf fallen sollte, und zwar so richtig, dann weiß ich, wohin ich fliehen kann. Irgendwie ein beruhigender Gedanke.

Auch die Arbeit mit den Kindern ist anders. Ich kenne sie und sie kennen mich, und auf beiden Seiten hat sich großer Respekt aufgebaut, der jedoch schwer erkämpft werden musste. Die „Angst“ vor der Arbeit mit den Kindern (Wird es ein guter Tag? Werden die Kids sich benehmen? Werde ich die Nerven behalten?) ist einer Zuversicht und einem Selbstvertrauen gewichen, das ich mir niemals zugetraut hätte. Ich habe viele Kinder richtig lieben gelernt und freue mich jedes Mal, sie zu sehen. Dennoch ist die Arbeit weiterhin verdammt hart und Kräfte zehrend. Je näher das Wochenende rückt, desto ausgelaugter werde ich. So kommt es, dass ich freitags und samstags zu einem schlürfenden Wasch-lappen mutiere, dessen Lieblingsbeschäftigung darin besteht, alle fünf Minuten auf die Uhr zu schauen. Man ist gereizt und völlig erschöpft und betrachtet die Kinder nicht mehr als Opfer, sondern als kleine Monster, die nur ins Main kommen, um Dich fertig zu machen. Die Anzahl der Kids hat sich zudem während der letzten Wochen auf durchschnittlich 40 Kinder pro Tag verdoppelt. Wir scheinen unseren Job also gut zu machen :-)
Nächste Woche starten wir zusätzlich unser Programm für die Jugendlichen (13 - 18 Jahre) und werden fortan freitags Teen Nights im Teen Center anbieten. Von 16 bis 19 Uhr ist die Turnhalle für den indianischen Volkssport Basketball geöffnet, und anschließend können die Teens sich aussuchen, ob sie auf großer Leinwand einen Film in der Turnhalle anschauen oder lieber im Internet Café Tischtennis und Kicker spielen und im Internet surfen wollen. Ich hoffe, dass viele junge Leute diese Chance nutzen und somit wenigstens einmal pro Woche Gangs, Angst und Langeweile vergessen.

Mittlerweile sind von den ursprünglichen Volontären nur noch Kristina und ich übrig. Anfang September kam Ben, 32, aus London, und Anfang Oktober ein 18-jähriges Mädchen aus Pennsylvania. Wir sind ein tolles Team, ergänzen uns prima und halten uns gegenseitig den Kopf über Wasser. Zudem erweist es sich als absolut praktisch und famos, eine reife, männliche Autoritätsperson im Hause zu haben, die ständig unter Starkstrom steht und zudem regelmäßig für uns kocht und backt.

Happy News:
- Das Heizsystem funktioniert wieder! bedeutet: die Warmduscher müssen zum Duschen nun nicht mehr ins Teen Center! und bedeutet auch: zum Spülen brauch man keine sieben Töpfe Wasser mehr zu kochen, sondern dreht lediglich den Wasserhahn mit dem roten Punkt drauf auf! (Hier lernt man Dinge zu schätzen, die in der Heimat eine Selbstverständlichkeit sind…)
- Da die Gartensaison und somit auch unser täglicher Farmer’s Market vorbei sind, brauchen wir erst um 11 Uhr statt um 10 Uhr anfangen zu arbeiten! bedeutet: mehr Zeit am Morgen! bedeutet: allmorgendlicher Besuch im Fitness Center! bedeutet: Bens anbetungswürdiger Kuchen kann mit gutem Gewissen verzehrt werden!
- Unsere Chefin hat uns einen neuen Fernseher geschenkt! bedeutet: wir sehen die Werbung (und die Filme zwischen den Werbeblöcken) nun auf einem Bildschirm, der größer ist als ein Briefkasten!
- Die Mücken sind weg…! bedeutet:

Bad News:
- … Der Winter ist da… Es hält sich jedoch noch in Grenzen. Geschneit hat es noch nicht, und die meiste Zeit scheint die Sonne. Aber alle reden vom Winter, als ob er ein Monster wäre. Ich habe Glück: Die kritischen Monate sind Januar und Februar. Aber dann bin ich ja wieder in Deutschland und belächle wahrscheinlich unsere Minusgrade.
- Gestern hat uns eine tragische Nachricht erteilt, die niemand so recht verdauen kann: Der Cheyenne River Sioux Tribe hat dem Cheyenne River Youth Project von heute auf morgen sämtliche vertraglich festgehaltene finanzielle Unterstützung gestrichen. Dies bedeutet einen Verlust von mehreren zehntausend Dollar im Jahr. Ein harter Schlag! Der Stamm stürzt sich seit Jahren in Schulden (ich erinnere: ärmster Landkreis der USA), doch an die Ärmsten und Bedürftigsten des Reservates, nämlich die Kinder, scheint plötzlich niemand mehr zu denken. Auch Indianer können also Verträge brechen. Die Luft im Main ist ganz schön dicke, und die Zukunft für unsere Kinder ungewiss….

Meine Freizeit verbringe ich überwiegend mit Rocky und Co. Während der Woche ziehen wir uns Filme rein, füttern das Mustangfohlen und toben mit den Hunden im Dreck. Wokini ist mittlerweile fast dreimal so groß wie zu dem Zeitpunkt, als ich ihn gefunden habe. Vor zwei Wochen wurde der Arme aus dem Garten gestohlen, und Rocky und ich haben ihn nachts zwei Stunden lang zu Fuß im Reservat gesucht. Am nächsten Tag hat ihn der Dieb – ein Junge, der fast täglich ins Main kommt – dank meiner Detektiv- und Verhandlungsarbeit zurückgebracht.
An den Wochenenden muss man schon kreativ sein. Viele Möglichkeiten gibt es aber nicht, und uns fehlt auch meist die Energie zum großen Einfallsreichtum. Vor einigen Wochen war ich mit Rocky und dem Freund seiner Mutter am Lake Oahe nachtfischen. Ein Traum! Vor uns das Wasser, dessen Wellen den Mondschein widerspiegelten, um uns herum die Nacht und über uns die Sterne (… und in meinen Knochen die Kälte).
Immer wieder ein Highlight im tristen Prärieleben sind die Trips nach Pierre oder Rapid City. Da steigt man aus dem Auto aus und möchte am liebsten lauthals und freudig „Zivilisation“ brüllen (was ich auch schon mitten in einem Einkaufszentrum in Rapid City gemacht habe…). Dort gibt es dann Kinos, Geschäfte (ich meine RICHTIGE Geschäfte) und Bars (bisher nur eine besucht). Ich freue mich schon wie blöd auf das erste November-wochenende, welches ich komplett in Rapid City verbringen werde. Es sind nur drei Tage und zwei Nächte, doch für mich bedeutet dies a whole lot of URLAUB!
Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch ein großes nationales Powwow, das neulich in Rapid stattfand. Leute, schaut Euch das Foto unten an! Das sind alles tanzende Indianerschönheiten, hunderte von ihnen! Soviel Farbe habe ich noch nicht einmal auf einem nagelneuen Plasmabildschirm.
Auf dem Powwow habe ich interessanterweise auch Donovin Arleigh Sprague kennen gelernt. Er ist der Autor eines Buches über die Cheyenne River Sioux, das ich mir vor meiner Abreise in Deutschland gekauft habe. Ich hab ihn zugetextet mit Lobeshymnen auf das Buch, und er hat mir stolz Bilder von Verwandten und Freunden darin gezeigt, die direkte Nachkommen von Sitting Bull und Crazy Horse sind.


Soviel zu meinen monotonen Aktivitäten. Aber Ihr wisst ja: Unverhofft kommt oft, vor allem im Reservat! ;-) Also bis demnächst!

Dienstag, 16. Oktober 2007

Stumme Schreie

M. ist 13 und verhält sich wie eine Achtjährige. Sie ist liebenswert, aber anstrengend, da sie ständig Aufmerksamkeit verlangt. Ihr Vater hat sich eine Kugel in den Kopf gejagt, und ihre Mutter hat M. verlassen, als sie gerade mal ein Jahr alt war. Sie lebt seitdem bei ihrer Großmutter.

J. (6) und J. (4) sind Geschwister. Seit ich hier bin, habe ich sie noch kein einziges Wort reden hören.

A. (10) und ihre Halbschwester J. (10) sind vorlaut und aggressiv. A. wird wegen ihrer Vorliebe für Prügeleien von den anderen Kindern gefürchtet. A.’s und J.’s Eltern sind Alkoholiker.

G., (8), sieht nicht vorhandene Männer hinter dir, mit denen sie sich unterhält.

J. (10) und sein Halbbruder H. (8) tragen seit meinem ersten Arbeitstag im Main täglich dieselben Pullover, egal zu welcher Jahreszeit.

M. ist 23 und kommt schon seit frühester Kindheit ins Main. Sie ist damit unser ältester und längster „Stammgast“. M. ist geistig behindert. Man nimmt an, dass sie unter dem fetalen Alkoholsyndrom leidet, eine traurige Folgeerscheinung von mütterlichem Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Als ich ankam, sprach M. im Durchschnitt vier Sätze, die sie ständig und zu jeder noch so unpassenden Gelegenheit wiederholte. Jetzt erzählt sie manchmal kleine Geschichten und ist in der Lage, Antworten auf Fragen unsererseits zu geben.
Ihre Lieblingsbeschäftigung ist die Anfertigung von Armbändern aus Wolle, und sie schafft es locker, zwei komplette Wollknäuel an einem Nachmittag zu verbrauchen. Zudem schreibt sie unleserliche Briefe an Sasquatch (ein haariges Monster, auch unter dem Namen „Bigfoot“ bekannt), in denen – solange man es entziffern kann – abwechselnd die Wörter „Sasquatch“ und „blacktape“ auftauchen. Gibt man ihr statt Wolle Papier und Buntstifte, malte sie bisher immer das gleiche Motiv: eine schwarze, quadratische Figur, die wahrscheinlich einen Mann darstellen sollte (oder Bigfoot?). Schwarz war stets die einzige Farbe, die sie benutzte. Gestern geschah das Unglaubliche: M. malte rosafarbene Blumen auf einer grünen Wiese und schrieb darüber „Pink Flowers“. Ich habe fast geweint vor Freude.


Diese Kinder kommen alle fast täglich ins Main. Sie alle sind liebenswert und unschuldig. Sie alle sind Opfer.




Sonntag, 30. September 2007

Fotoalbum #4: Ein Reservat im Ausnahmezustand

Am letzten Oktoberwochenende war hier bei uns die Hölle los! Man kann sich gar nicht vorstellen, dass in diesem ruhigen Örtchen auch mal der Bär tanzen kann. Aber er hat getanzt, und zwar volle sechs Tage lang. Anlass dazu war der Labor Day, der Tag der Arbeit.
Dieser wird in den USA immer am ersten Montag im September begangen und ist schon seit 1894 ein Nationalfeiertag. Er wird zu Ehren der arbeitenden Bevölkerung gefeiert, und in vielen Städten finden Umzüge von Mitgliedern der Gewerkschaften statt.
Auch in Eagle Butte fand montags eine Parade statt, an der allerdings jeder teilnehmen konnte. Leider…. Denn wir Volontäre hatten das blamable Vergnügen, als Hawaii-Mädels verkleidet vom Pick-Up unserer Chefin aus Bonbons in die Menge zu werfen. Die Parade verlief über die komplette Main Street, und links und rechts am Straßenrand hatten es sich fast alle Bewohner des Reservats in Klappstühlen bequem gemacht. Es muss ein recht interessanter Anblick gewesen sein: weiße Hula-Hula-Mädels zwischen lauter Indianern und Cowboys…
Zum großen Event in Eagle Butte reisten Indianer aus ganz South Dakota an und schlugen ihre Zelte auf. Der Anblick der vielen Zelte und Klappstühle erinnerte mich irgendwie an ein Musik-Festival, und es juckte mich in den Fingern, ebenfalls dort zu campen. Direkt neben unserem Teen Center gab es ein riesiges Powwow, ein Rodeo und Pferderennen und eine Kirmes. Die Kirmes begann schon am letzten Mittwoch im August, und das Powwow und Rodeo fanden jeweils Freitag, Samstag, Sonntag und Montag statt. Es war beeindruckend: Links befand sich der Powwow-Platz, rechts die Pferderennbahn mit dem Rodeoplatz und dazwischen die Kirmes. Cowboys und Indianer, Tradition und Moderne. Alles auf einem Gelände, alles an einem Wochenende. Es war eine kleine Reise durch die Zeit. Aber ich spar mir weitere Worte und verweise einfach auf den Link zum 4. Fotoalbum. Denn Bilder sagen bekanntlich mehr als tausend Worte.

Fotoalbum #3: Reservats-Zoo

Gehe zu: http://picasaweb.google.com/lakotaworld/ReservatsZoo
Wird ständig erweitert!

Fotoalbum #2: Das Main

Gehe zu: http://picasaweb.google.com/lakotaworld/TheMain
Wird ständig erweitert!

Fotoalbum #1: Das Reservat

Gehe zu: http://picasaweb.google.com/lakotaworld/DasReservat
Hier werde ich von nun an regelmäßig Fotos vom Reservat hochladen. Ihr könnt Euch die Bilder in einer Dia-Show ansehen, Kommentare hinzufügen und die einzelnen Bilder in Originalgröße herunter laden! Weitere Alben zu spezifischen Themen folgen.
Wird ständig erweitert!

Samstag, 29. September 2007

"Da steht ein Pferd auf'm Flur..."

In Eagle Butte und drum herum gibt es kein Kino, kein Theater, keine Disco, keine Musikkneipe, keinen Jugendtreff und ein Schwimmbad, das nur in den Sommermonaten geöffnet hat. Kurzum: Hier herrscht tote Hose. Für die Bewohner Eagle Buttes bedeutet dies eine Katastrophe, für mich einen vorübergehenden Zustand nüchterner Enthaltsamkeit. Doch für die Tatsache, dass hier absolut gar nichts geboten wird, erlebe ich seltsamerweise mehr Abenteuer und Ungeheuerliches als jemals in meinem Leben zuvor! Erst gestern Abend noch ist mir erneut die Kinnlade auf die Brust gedonnert. Ich habe mich schon zweifelnd gefragt, ob ich Euch nach der Welpen- und Billy-Mills-Story hier überhaupt noch etwas Interessantes bieten kann. Aber anscheinend muss man im Reservat ständig auf Überraschungen gefasst sein. Unverhofft kommt oft, besonders dann, wenn man gar nicht damit rechnet.

So wie gestern. Es war einer dieser Tage, an denen ich am liebsten unsichtbar und taubstumm wäre. Ich war die halbe Woche krank, hatte schlecht geschlafen und dennoch wie gewohnt gearbeitet. Die Risiken und Nebenwirkungen machen sich dann spätestens freitags bemerkbar: gebeugte Haltung, Schlafzimmerblick, Augenringe wie Karl Dall und eine innere Unausgeglichenheit, die dich zum Griesgram des Jahres machen. Zu allem Überfluss konnte ich nach Ladenschluss nicht direkt mit Putzen beginnen, da ich noch eine halbe Stunde lang Kinder von Dreckhügeln runterjagen musste (bei uns vor der Tür ist momentan eine große Baustelle), einen Zickenkrieg schlichten und ein Mädchen aus einer großen Mülltonne befreien musste, in die ich Stunden zuvor noch verfaulte Kartoffel geworfen hatte. Doch irgendwann war er da, mein Freund der Feierabend! Und was macht man nach einem so grässlichen Tag? Man flüchtet aus dem Main, und zwar zu Rockys Familie und zu Wokini.
Als ich deren Haus betrat, befand sich ein Pferd im Wohnzimmer. (Bitte den vorherigen Satz noch einmal lesen.) (Ja, da steht wirklich „ein Pferd im Wohnzimmer“!) Naja, ein Pferd ist wahrscheinlich ein wenig übertrieben. Vielmehr war es ein zwei Wochen altes Fohlen. Es stammt aus einer wildlebenden Mustangherde, die ohne das Kleine weiter gezogen war.

Rückblick: Vor einigen Wochen besuchten wir wilde Mustangs, die von einer Frau namens Karen betreut werden. Sie setzt sich schon seit vielen Jahren für die Erhaltung dieser edlen Tiere ein, die ansonsten vom Staat unbarmherzig getötet würden. Karens Herden sind direkte Nachkommen derjenigen Pferde, die im 16. Jahrhundert durch die Spanier eingeführt wurden. Die Prärie-Indianer hatten bis dato noch nie ein Pferd gesehen und nannten diese Tiere deshalb „großer Hund“. Die Ankunft der spanischen Pferde machte den Lebensstil der Nomadenkulturen in den Plains fortan erheblich komfortabler und ließ sie zu den berühmten Büffeljägern werden, die heute jedermann aus Film und Fernsehen kennt.

Rocky hat schon öfter Babysitter für verwaiste Fohlen aus Karens Herden gespielt. Da es sich diesmal niemand zeitlich leisten konnte, die Nächte bei Karen zu verbringen, hat man das Fohlen kurzerhand zu sich nach Hause geholt. So kam es dazu, dass Wokini nun einen neuen Spielkameraden hat. Und es ist ein Bild für die Götter: ein schlaksiges Fohlen mitten im Wohnzimmer zwischen Sofa und Fernseher! Es muss – wie Wokini anfangs – alle zwei Stunden mit Milch gefüttert werden und braucht zudem jede Mende Aufmerksamkeit.

Echt ulkig: Jetzt ist der Welpe aus dem Gröbsten raus und ist nicht mehr auf Flüssignahrung angewiesen, da kommt das nächste Tierbaby ins Haus. Langweilig wird es einem hier anscheinend nie... :-)