Samstag, 15. Dezember 2007

Hilfe, es weihnachtet sehr!

Ich bin traurig. Dies ist ohne Frage ein Widerspruch zum Ende des letzten Eintrages, aber es ist die Wahrheit: I-c-h--b-i-n--t-r-a-u-r-i-g! Der Abschied hat völlige Kontrolle über mich gewonnen, er bestimmt fast jede verdammte Minute meines Denkens. Alles hier erscheint fremd, seltsam und trübe. So stark ich bisher immer gewirkt habe, gestern habe ich geflennt wie ein Baby und kam mir nur noch eines vor: schwach.
Jetzt ist Samstagabend, und noch vier ganze Tage liegen vor mir. Diese werden erfüllt sein von Arbeit, und zwar non stop. Die Weihnachtsvorbereitungen sind in vollem Gange: Letzten Freitag hatten wir einen Toy Sale in der Turnhalle, bei dem innerhalb von einer Stunde fast alle Tische leergeräumt wurden, die Ben und ich zuvor in zwei Tage langer Arbeit mit Spielsachen dekoriert hatten. Diese Spielsachen waren Überreste vom letzten Weihnachten und wurden nun zu einem geringen Preis an Mitglieder des Family Services verkauft, um Platz zu schaffen für den Wahnsinn: den Toy Drive.
Dieses Riesenereignis bemüht sich gegen Ende jeden Jahres darum, die Weihnachtswünsche der kleinen Reservatsbewohner so gut es geht zu erfüllen. Die Prozedur ist einfach: Die Kinder der Reservation beginnen im Herbst, ihre Briefe an den Weihnachtsmann zu verfassen (an die 1.000 Wunschzettel!), die dann bei uns im Teen Center nach Familien und Ortschaften sortiert werden. Die Wünsche sind teilweise herzzerreisend: Ein Junge wünscht sich seinen Vater für Weihnachten zurück, welcher momentan im Krieg ist. Viele Kinder wollen Decken und Kissen oder gar ein Bett. Ein kleiner Junge schreibt: “I want world peace and a Nintendo.” Die meisten Kids haben jedoch die normalen, überdimensionalen Wünsche, die fast jedes Kind hat: I-Pod, CD- und DVD-Player, Fernseher, etc. Es gibt aber glücklicherweise auch noch kindgerechte Wünsche, wie z. B. Puppen, Autos, Schminke und Action-Figuren.
Diese “Dear Santa” – Briefe werden dann an Firmen und Menschen im ganzen Land weiter geleitet, die dem CRYP mit einer Spende helfen wollen. Es dauert nicht lange, bis die ersten Pakete mit Spielsachen und Kleidung im Teen Center eintreffen. Doch je näher der Dezember rückt, desto öfter sind sie in aller Munde: Die LKW-Ladungen, die Tonnen an Spielsachen bringen und Hunderte von Kindern im Reservat glücklich machen. Die erste Lieferung kam gestern um 8 Uhr, und die zweite wird morgen früh kommen. Sobald ein LKW in die Einfahrt zum Main einbiegt, beginnt der Wahnsinn: Der Kaffee wird stehengelassen, man hüpft in die Stiefel, oder man lässt einen eigentlich viel zu schönen Traum zurück, um raus in die Kälte zu eilen und in verschlafene, aber aufgeregte Gesichter zu blicken. Die Müdigkeit verschwindet jedoch nach dem ersten Karton auf dem Buckel, und irgendwann ist auch das scheinbar Unmögliche geschafft: Der LKW ist leer und die Lagerhalle voll. Daraufhin werden alle Kartons geleert und die Spielsachen auf Tischen in der Turnhalle sortiert. Und dann, nach der Arbeit, kommt das Vergnügen: Jeder nimmt sich einen Wunschzettel vom Stapel und geht damit durch die Tischreihen. Wir versuchen, jedem Kind mindestens einen, am besten aber drei Wünsche seines Wunschzettels zu erfüllen. Bei 1.000 Kindern macht das somit 3.000 Geschenke, die wir ausladen, auspacken, auf Tischen anordnen, aussuchen, in Tüten und Kartons packen und anschließend in Geschenkpapier einwickeln. Zur großen “Wrapping Party” trudeln freiwillige Helfer aus der ganzen Gemeinde ein und packen 3.000 Geschenke bei Kaffee und Kuchen ein. Diesem grandiosen Ereignis werde ich leider nicht mehr beiwohnen können, da dies am Tag meiner Abreise stattfinden wird. Ben hat dann das wunderbare Vergnügen, die Geschenke an Weihnachten zu verteilen (natürlich als Weihnachtsmann verkleidet). Das Strahlen der Kinder und das Leuchten in deren Augen wird ihn sicherlich für alle Mühen entschädigen. Mir selbst bleibt keine andere Wahl, als mir dieses Leuchten an Weihnachten in Deutschland vorzustellen und daran zu denken, dass gerade 1.000 Kinder der Cheyenne River Sioux Reservation aufgeregt unsere Geschenke auspacken :-)
Der Toy Drive des CRYP ist in der Tat das größte, wahnsinnigste und schönste Projekt, das ich je kennengelernt habe, und ich bin froh und stolz darauf, ein Teil davon zu sein!
Fotoalbum #8:

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