Sonntag, 30. September 2007

Fotoalbum #4: Ein Reservat im Ausnahmezustand

Am letzten Oktoberwochenende war hier bei uns die Hölle los! Man kann sich gar nicht vorstellen, dass in diesem ruhigen Örtchen auch mal der Bär tanzen kann. Aber er hat getanzt, und zwar volle sechs Tage lang. Anlass dazu war der Labor Day, der Tag der Arbeit.
Dieser wird in den USA immer am ersten Montag im September begangen und ist schon seit 1894 ein Nationalfeiertag. Er wird zu Ehren der arbeitenden Bevölkerung gefeiert, und in vielen Städten finden Umzüge von Mitgliedern der Gewerkschaften statt.
Auch in Eagle Butte fand montags eine Parade statt, an der allerdings jeder teilnehmen konnte. Leider…. Denn wir Volontäre hatten das blamable Vergnügen, als Hawaii-Mädels verkleidet vom Pick-Up unserer Chefin aus Bonbons in die Menge zu werfen. Die Parade verlief über die komplette Main Street, und links und rechts am Straßenrand hatten es sich fast alle Bewohner des Reservats in Klappstühlen bequem gemacht. Es muss ein recht interessanter Anblick gewesen sein: weiße Hula-Hula-Mädels zwischen lauter Indianern und Cowboys…
Zum großen Event in Eagle Butte reisten Indianer aus ganz South Dakota an und schlugen ihre Zelte auf. Der Anblick der vielen Zelte und Klappstühle erinnerte mich irgendwie an ein Musik-Festival, und es juckte mich in den Fingern, ebenfalls dort zu campen. Direkt neben unserem Teen Center gab es ein riesiges Powwow, ein Rodeo und Pferderennen und eine Kirmes. Die Kirmes begann schon am letzten Mittwoch im August, und das Powwow und Rodeo fanden jeweils Freitag, Samstag, Sonntag und Montag statt. Es war beeindruckend: Links befand sich der Powwow-Platz, rechts die Pferderennbahn mit dem Rodeoplatz und dazwischen die Kirmes. Cowboys und Indianer, Tradition und Moderne. Alles auf einem Gelände, alles an einem Wochenende. Es war eine kleine Reise durch die Zeit. Aber ich spar mir weitere Worte und verweise einfach auf den Link zum 4. Fotoalbum. Denn Bilder sagen bekanntlich mehr als tausend Worte.

Fotoalbum #3: Reservats-Zoo

Gehe zu: http://picasaweb.google.com/lakotaworld/ReservatsZoo
Wird ständig erweitert!

Fotoalbum #2: Das Main

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Wird ständig erweitert!

Fotoalbum #1: Das Reservat

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Hier werde ich von nun an regelmäßig Fotos vom Reservat hochladen. Ihr könnt Euch die Bilder in einer Dia-Show ansehen, Kommentare hinzufügen und die einzelnen Bilder in Originalgröße herunter laden! Weitere Alben zu spezifischen Themen folgen.
Wird ständig erweitert!

Samstag, 29. September 2007

"Da steht ein Pferd auf'm Flur..."

In Eagle Butte und drum herum gibt es kein Kino, kein Theater, keine Disco, keine Musikkneipe, keinen Jugendtreff und ein Schwimmbad, das nur in den Sommermonaten geöffnet hat. Kurzum: Hier herrscht tote Hose. Für die Bewohner Eagle Buttes bedeutet dies eine Katastrophe, für mich einen vorübergehenden Zustand nüchterner Enthaltsamkeit. Doch für die Tatsache, dass hier absolut gar nichts geboten wird, erlebe ich seltsamerweise mehr Abenteuer und Ungeheuerliches als jemals in meinem Leben zuvor! Erst gestern Abend noch ist mir erneut die Kinnlade auf die Brust gedonnert. Ich habe mich schon zweifelnd gefragt, ob ich Euch nach der Welpen- und Billy-Mills-Story hier überhaupt noch etwas Interessantes bieten kann. Aber anscheinend muss man im Reservat ständig auf Überraschungen gefasst sein. Unverhofft kommt oft, besonders dann, wenn man gar nicht damit rechnet.

So wie gestern. Es war einer dieser Tage, an denen ich am liebsten unsichtbar und taubstumm wäre. Ich war die halbe Woche krank, hatte schlecht geschlafen und dennoch wie gewohnt gearbeitet. Die Risiken und Nebenwirkungen machen sich dann spätestens freitags bemerkbar: gebeugte Haltung, Schlafzimmerblick, Augenringe wie Karl Dall und eine innere Unausgeglichenheit, die dich zum Griesgram des Jahres machen. Zu allem Überfluss konnte ich nach Ladenschluss nicht direkt mit Putzen beginnen, da ich noch eine halbe Stunde lang Kinder von Dreckhügeln runterjagen musste (bei uns vor der Tür ist momentan eine große Baustelle), einen Zickenkrieg schlichten und ein Mädchen aus einer großen Mülltonne befreien musste, in die ich Stunden zuvor noch verfaulte Kartoffel geworfen hatte. Doch irgendwann war er da, mein Freund der Feierabend! Und was macht man nach einem so grässlichen Tag? Man flüchtet aus dem Main, und zwar zu Rockys Familie und zu Wokini.
Als ich deren Haus betrat, befand sich ein Pferd im Wohnzimmer. (Bitte den vorherigen Satz noch einmal lesen.) (Ja, da steht wirklich „ein Pferd im Wohnzimmer“!) Naja, ein Pferd ist wahrscheinlich ein wenig übertrieben. Vielmehr war es ein zwei Wochen altes Fohlen. Es stammt aus einer wildlebenden Mustangherde, die ohne das Kleine weiter gezogen war.

Rückblick: Vor einigen Wochen besuchten wir wilde Mustangs, die von einer Frau namens Karen betreut werden. Sie setzt sich schon seit vielen Jahren für die Erhaltung dieser edlen Tiere ein, die ansonsten vom Staat unbarmherzig getötet würden. Karens Herden sind direkte Nachkommen derjenigen Pferde, die im 16. Jahrhundert durch die Spanier eingeführt wurden. Die Prärie-Indianer hatten bis dato noch nie ein Pferd gesehen und nannten diese Tiere deshalb „großer Hund“. Die Ankunft der spanischen Pferde machte den Lebensstil der Nomadenkulturen in den Plains fortan erheblich komfortabler und ließ sie zu den berühmten Büffeljägern werden, die heute jedermann aus Film und Fernsehen kennt.

Rocky hat schon öfter Babysitter für verwaiste Fohlen aus Karens Herden gespielt. Da es sich diesmal niemand zeitlich leisten konnte, die Nächte bei Karen zu verbringen, hat man das Fohlen kurzerhand zu sich nach Hause geholt. So kam es dazu, dass Wokini nun einen neuen Spielkameraden hat. Und es ist ein Bild für die Götter: ein schlaksiges Fohlen mitten im Wohnzimmer zwischen Sofa und Fernseher! Es muss – wie Wokini anfangs – alle zwei Stunden mit Milch gefüttert werden und braucht zudem jede Mende Aufmerksamkeit.

Echt ulkig: Jetzt ist der Welpe aus dem Gröbsten raus und ist nicht mehr auf Flüssignahrung angewiesen, da kommt das nächste Tierbaby ins Haus. Langweilig wird es einem hier anscheinend nie... :-)


Donnerstag, 27. September 2007

Running Strong for American Indian Youth

Ein paar Fakten vorweg:

- Vier der fünf ärmsten Counties (Landkreise) der USA befinden sich in den Indianerreservaten von South Dakota.
- Der Landkreis, in welchem sich Eagle Butte befindet, ist laut neuster Statistiken mittlerweile das ärmste County im ganzen Land und hat somit Pine Ridge abgelöst.
- In manchen Gebieten liegt die Arbeitslosenquote bei über 75%.
- Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei unter $7.000 (während Miete und Nahrungsmittel dabei nicht preiswerter sind als im Rest des Landes).
- Folge: Die Mehrheit der Reservatsbewohner lebt unter der Armutsgrenze.
- 50% der Reservatsbewohner sind unter 18 Jahre alt.
- Im letzten Jahrzehnt ist die Selbstmordrate unter den Jugendlichen extrem gestiegen: Jedes Jahr gibt es allein in Eagle Butte zehn Selbstmordopfer, wobei die Rate der Suizidversuche noch viel höher ist. (Dabei ist die Suizidrate der Indianer in South Dakota viermal höher wie die ihrer weißen Mitbewohner.)



Rückblende:

Wir schreiben das Jahr 1988. Wie in jeder Stadt gibt es auch in Eagle Butte eine Straße mit dem einfallslosen Namen „Main Street“. Hier befindet sich eine alte, baufällige Kneipe namens „Little Brown Jug“, die schon etliche Schlägereien gesehen hat und ein Zufluchtsort für viele orientierungslose Reservats-bewohner ist. Doch die Zeiten, in denen das Bier über den Tresen wanderte, sind nun endgültig vorbei, da der Cheyenne River Sioux Tribe soeben die Kneipe aufgekauft hat. Das Cheyenne River Youth Project (CRYP) ist geboren, und die Bar erhält einen neuen Namen: „The Main“. Ab heute soll sie ein Zufluchtsort für die Kinder des Reservats sein, und ihre neue Aufgabe besteht nun darin, unter Fußgetrampel und Kinderlärm nicht zusammen zu stürzen. So hält sie sich auch tapfer und wacker, und fast zehn Jahre vergehen.
Wir schreiben nun das Jahr 1997. Mittlerweile ist die ehemalige Kneipe kurz vor dem Zerfall und die Situation scheint ausweglos. Zu jener Zeit macht sich eine uneigennützige Organisation namens
Running Strong for American Indian Youth auf den Weg ins Cheyenne River Reservat, um der Eröffnung einer von ihnen gesponserten und neu erbauten Lagerhalle für Nahrungsmittel beizuwohnen. Während ihres Aufenthaltes im Reservat besuchen sie auch das Main und sind schockiert von den dortigen Zuständen. So kommt es, dass Running Strong eine Partnerschaft mit dem CRYP eingeht und ihm einen Betrag von $100.000 spendet. Mit dieser großzügigen Starthilfe und weiteren Spenden aus dem ganzen Land kann zwei Jahre später ein neues, $400.000 - schweres Kinderzentrum errichtet werden, das mit dem Namen Billy Mills Youth Center getauft wird (doch jedermann nennt es weiterhin liebevoll „The Main“).


Kurzbiographie Billy Mills: Billy Mills, geboren am 30. Juni 1938 im Pine Ridge Reservat, ist ein Oglala-Lakota-Sioux. Bereits mit zwölf Jahren war er Vollwaise. Schon während seiner Jugend entdeckte er seine Liebe zum Laufen und promovierte schließlich an der University of Kansas zum Sportlehrer. 1964 machte sich Mills weltweit einen Namen, als er völlig überraschend bei den olympischen Spielen in Tokio die Goldmedaille über 10.000 Meter gewann. Dieses Rennen wurde als größte Sensation in der olympischen Geschichte bezeichnet. Mills war damals der erste Amerikaner (und Indianer!), der den Sieg über 10.000 Meter errang, und kein Sportler aus der westlichen Hemisphäre hat es seitdem jemals wieder geschafft. 1984 wurde sein Leben mit Robby Benson in der Hauptrolle verfilmt ("Running Brave"). Heute ist Billy Mills Sprecher von Running Strong for American Indian Youth und macht sich stark für die Zukunft junger Indianer.

Im August 2006 wird dann das Cokata Wiconi Teen Center erbaut, eine beeindruckende Einrichtung für die Jugendlichen des Reservats mit einer riesigen Turnhalle, einem verspiegelten Tanzsaal, diversen Klassen-, Kunst- und Computerräumen, Büroeinrichtungen und Volontärwohnungen. Leider ist das Teen Center bis heute zum größten unbenutzt, da es weiterhin an Geld fehlt (in der Wohnung für die Freiwilligen gibt es noch keine Betten, es fehlen weitere Angestellte oder freiwillige Helfer, die die Jugendlichen beaufsichtigen, etc.).


Die Gegenwart:

Mittlerweile hat sich das CRYP zu einer imposanten uneigennützigen Organisation entwickelt, die sich neben Runnig Strong auf gleicher Ebene für die Kinder und Jugendlichen des Reservates einsetzt (wobei Running Strong landesweit aktiv ist, während sich das CRYP auf das Cheyenne River Reservat spezialisiert). Während das CRYP auf freiwillige Helfer aus der ganzen Welt angewiesen ist, kümmern sich Running Strong um die finanziellen Mittel. Die Organisation bietet alljährlich die beliebte Running-Strong-Tour an, an der jeder Interessierte gegen einen bestimmten Beitrag teilnehmen kann. Die Teilnehmer sind meist pensionierte, wohlbetuchte Menschen aus ganz Nordamerika, die einerseits mit einer großzügigen Spende Gutes tun wollen und sich andererseits für Indianer interessieren. Während der einwöchigen Tour haben sie dann die Gelegenheit, das Pine Ridge und das Cheyenne River Reservat zu besuchen. Dort können sich die Teilnehmer zunächst ein eigenes Bild von den Zuständen in den Reservaten machen und anschließend beschließen, wofür sie spenden wollen. So hat das Pine Ridge Reservat zum Beispiel dank einer älteren Lady demnächst zwei neue Brunnen, die dem ewigen Marsch zu den weit entfernten und verschmutzten Wasserquellen endlich ein Ende bereiten.

Running-Strong-Tourmitglieder 2007

Running-Strong-Tour 2007

Die Tour begann am Sonntag, den 9. September, in Rapid City. Um 19 Uhr lud Billy Mills, der Sprecher von Running Strong, zum Empfang in einem Hotel. Im Konferenzzimmer befanden sich die etwa 40 Tour-Teilnehmer und unser Team vom CRYP. Zu dieser Zeit waren wir noch drei weibliche Volontäre, und wir waren alle erschöpft von der Arbeit der vorangegangenen Woche. Dennoch opferten wir unseren wertvollen Sonntag, um Billy Mills zu treffen, und machten uns schon früh morgens auf den Weg nach Rapid City. Der Aufwand erwies sich als äußerst lohnenswert. Billy Mills hielt eine Rede, die uns Mädels wortwörtlich zu Tränen gerührt und uns die Augen für das Wesentliche geöffnet hat. Es folgten Autogrammstunde und Fotosession. Mittlerweile war es schon 21 Uhr, und jedermann war müde und erschöpft. Billy Mills Flieger sollte früh am nächsten Morgen starten, und auch uns stand eine neue, harte Arbeitswoche bevor.
Doch natürlich kam alles anders: Billy Mills lud uns Mädels zum Essen ein! Da können die Augen noch so klein sein, der Magen noch so voll von Cookies und Kaffee – wer bei solch einem Angebot ablehnt ist ganz schön dämlich! Also rissen wir begeistert unsere Augen auf und rieben uns dramatisch unsere scheinbar knurrenden Bäuche. So kam es, dass wir bis 1 Uhr nachts noch viele weitere Geschichten von Mr Mills genießen konnten. :-)


Eine rührende Geschichte: Meine beste Freundin schenkte mir 2004 zu Weihnachten ein Buch. Naja, nicht gerade das einfallsreichste Geschenk. Aber wartet, keine voreiligen Bewertungen! Zu jener Zeit ging es mir seelisch nicht besonders gut, und meine Freundin verbrachte Stunden damit, im Internet oder in Buchhandlungen ein passendes, hilfreiches Buch für mich zu finden, das mir irgendwie helfen könnte. Und sie fand es auch: „Auf der Suche nach dem verborgenem Glück“, eine Anleitung zum Glücklichsein. Klingt überaus kitschig, war aber überaus lehrreich und hat vor allen Dingen geholfen. Ich habe das Buch innerhalb eines Tages verschlungen und war anschließend wie geheilt. Zusätzlicher Pluspunkt für die Wahl des Buches war der Co-Autor: Neben dem bekannten Schriftsteller Nicholas Sparks, der für schnulzige Liebesromane bekannt ist, war ein Indianer am Buch beteiligt.

--- Szenenwechsel ---

In dem Konferrenzzimmer in Rapid City betritt ein indianischer Mann das Rednerpult und stellt dem Publikum Billy Mills vor, indem er dessen Leben kurz mündlich zusammenfasst. Dabei erwähnt er ein Buch, das Billy Mills zusammen mit Nicholas Sparks geschrieben hat. Es dauert ein wenig, bis bei mir der Groschen fällt. Dafür hämmert mein Herz umso wilder, als er endlich unten angekommen ist! Heiliger Bimbam, ist denn das möglich? Plötzlich weiß ich auch, warum mir der Name Billy Mills von Anfang an so bekannt vorkam! DER Billy Mills, der 2004 mit seinen Worten meinen Seelenmüll ein wenig aufgeräumt hat, ist DER Billy Mills, der gerade ein paar Tische weiter Cookies isst und Kaffee trinkt! Ich habe noch in der Nacht, als wir nach Hause kamen, meine Freundin auf der Arbeit angerufen (dort waren es 8 Uhr) und ihr die Neuigkeiten berichtet. Auch sie konnte es kaum glauben. Wie klein ist die Welt?
Später ging ich zu Billy Mills und sagte: „Now
I have a story for you!“ Und ich erzählte ihm meine Geschichte, die ihn höchst erfreute. Der Kreis, von dem viele Indianer und auch Billy Mills ständig reden, ward geschlossen: ...... -
meine Trauer – meine Freundin – das Buch – der Autor – seine Geschichte für mich - mein Glück hier – meine Begegnung mit Billy – meine Geschichte für ihn - ......
Und um die rührende Geschichte noch einen Tick schnulziger zu machen: Der Originaltitel des Buches lautet „Wokini“. Als ich das Wort las, wusste ich sofort, dass ich meinen Welpen so nennen würde. Ich schlug eine der letzten Seiten auf, in der sich – wie in der deutschen Ausgabe auch – die Übersetzungen der im Buch verwendeten Lakota-Wörter befinden. Und siehe da, der Name erwies sich als perfekt: „wokini“ bedeutet „neues Leben, neuer Anfang“ :-)


Am nächsten Tag begann die große Tour-Woche für uns: Die Teilnehmer sollten Donnerstagnachmittag im Cheyenne River Reservat eintreffen, und bis dahin mussten sämtliche Vorbereitungen getroffen sein. Das heißt vor allem eins: putzen, putzen und nochmals putzen. In jener Woche konnten wir jedoch zu all unseren verschiedenen Arbeitsbereichen einen weiteren addieren und fungierten nunmehr zusätzlich auch noch als Animateure für die Tour-Teilnehmer. Diese hatten mittlerweile ihre Tour durch die Black Hills und das Pine Ridge Reservat hinter sich gebracht und trafen denn auch Donnerstag pünktlich um 17 Uhr im Main ein. Von diesem Zeitpunkt an war es unsere Aufgabe, uns um all die netten Menschen zu kümmern. Wir beantworteten Fragen, führten sie herum und begleiteten sie zum Frühstück, Lunch und Dinner. (Die kostenlose Selbstbedienung am Buffet war natürlich der schönste Teil unserer Arbeit!) Zudem hatten wir schon zwei Wochen zuvor ein Theaterstück für ein Puppenspiel einstudiert, was wir denn auch gleich zweimal aufführen mussten. Es war eine bearbeitete Version der heiligen Lakota-Legende über die weiße Büffelkalbfrau. Höhepunkt aber war wahrscheinlich das Powwow in der Turnhalle unseres Teen Centers am Freitagabend, bei dem ich die dankbare Aufgabe hatte, T-Shirts und Marmelade zu verkaufen. So saß ich zwischen lauter indianischen Künstlern, die ihrerseits ihre Ware anboten, und genoss den freien Blick auf die tanzenden Schönheiten.

Samstags reisten die Teilnehmer wieder ab. Eine aufregende, schöne, aber auch anstrengende Tour-Woche war vorbei, und wir um tausend Erfahrungen reicher. Jetzt wartete nur noch das Bett auf uns…


Billy Mills' Rede:

Ums einmal salopp zu sagen: Der Typ hat mich von den Socken gehauen! Ich werde es wohl kaum schaffen, meinen Eindruck seiner mehr als sechzigminütigen Rede wider zu geben. Billy Mills erzählte von dem frühen Tod seiner Eltern, von seiner kindlichen Trauer und Verzweiflung, von gebrochenen Flügeln und von Hoffnung, von seinem Olympiasieg, von Gönnern und Neidern, vor allem aber von Kriegern und Helden. Das Impossante: Der Raum war gefüllt mit Menschen, welche Running Strong eine große Menge Geld zur Verfügung stellen, doch es waren wir drei Volontäre, die Billy Mills immer wieder ansprach. „Ihr seid Krieger, ihr kämpft für eine gute Sache. Ihr seid die Helden für so viele Menschen im Reservat, ohne dass ihr es wisst!“ Und es waren diese wenigen Worten, die unser komplettes Bild der Arbeit im Main verändern sollten.
Die beiden vorangegangenen Tage waren schlimm. Die Anzahl der Kinder im Main war enorm (Samstag waren es mehr als 75 Kinder!!!), wir waren nur drei Volontäre, und wir hatten die kreischende Menge kaum unter Kontrolle. Hinzu kam ein völlig verzogenes Verhalten und teilweise sehr kränkende Bemerkungen. Kurzum: Wir waren kurz vorm Verzweifeln und den Tränen nahe. Wir fragten uns Samstagabend, welchen Sinn unsere Arbeit überhaupt hat und ob die Kinder und deren Eltern unsere Mühen überhaupt zu schätzen wissen.
Billy Mills gab uns die Antwort. Sie war versteckt in seiner langen Rede, sie war verwoben in endlosen Metaphern, und sie war kaum zu sehen. Aber sie war zu spüren. Die Antwort auf den Sinn unserer Arbeit sind die Kinder selbst, die fast täglich das Main aufsuchen. Sie sagen nicht danke, ihre Eltern sagen nicht danke, niemand sagt danke. Aber wozu Worte? Es ist die stumme Umarmung eines Kindes. Es ist der gierige Blick, der die Frage nach dem aktuellen Speiseplan begleitet. Es sind das Lachen und das Weinen, all die Emotionen, welche die Kinder zu zeigen wagen. Es ist vor allem aber die bloße Anwesenheit der Kinder. Die Kinder sind dankbar, ihre Eltern sind dankbar, und wir sind ihre geheimen Helden. Wir wussten es nur nicht….

Für mehr Informationen zu Running Strong for American Indian Youth, besucht www.runningstrong.org. Hier gibt es auch noch mehr Bilder von der Tour.

Mittwoch, 19. September 2007

Nächstenliebe

Es gibt sie also doch noch, die menschliche Nächstenliebe: Ein Mensch, den ich bisher nur einmal getroffen habe, hat mir ein Paket geschickt, dessen Inhalt mich äußerst erfreut hat: Mineralwasser, Vollkornbrot mit ganzen Sonnenblumenkernen (mein Bauch weiß wahrscheinlich gar nicht wohin mit all den ungewohnten Ballaststoffen...), ein selbst gemachter Traumfänger und ein nagelneuer Schlafsack! (Da scheint jemand sehr aufmerksam meinen Blog gelesen zu haben...!)
Wow, bin baff.... Danke!!!!!!!

Montag, 17. September 2007

Reservatsliebe

Ich bin verliebt! Und zwar bis über beide Ohren!! Er ist klein, dun-kelhaarig und hat blaue Augen, die den Hundeblick so perfekt draufhaben, dass man jedes Mal dahinschmilzt, wenn man in diese Augen schaut. Es folgt eine romantische Geschichte über eine Reservatsliebe:

Es geschah an einem Freitagnachmittag vor zwei Wochen. Das Main war überfüllt von kreischenden, tobenden Kindern, die den drei weiblichen Volontären den letzten Nerv raubten. Mitten im Tumult hielt ein Mädchen einen Hundewelpen versteckt, den sie in eine dünne Jacke eingewickelt hatte. Nachdem wir uns das kleine Wollknäuel verzückt angeschaut hatten (ich habe noch nie zuvor einen Welpen gesehen!), mussten wir das Mädchen letzten Endes doch ermahnen, den Welpen nach Hause zu bringen, da Tiere im Main-Gebäude verboten sind. Das Mädchen verschwand mit langem Gesicht, und die restlichen circa 42 Kinder mit den drei armen Volontären blieben.
Nun wird’s kompliziert: Ich wollte kurz in mein Zimmer. Dazu muss man vom Hauptflur aus durch eine Tür in einen weiteren, kleineren Flur, der wiederum zu zwei Büros und den „volunteer-quarters“ führt. Da die Tür zu diesem kleineren Flur während der Öffnungszeiten des Mains jedoch von außen geschlossen ist, muss man durch ein Fenster hindurch einen roten Schalter gedrückt halten, der mit einem lauten Summen verbunden das Türschloss für kurze Zeit entriegelt. (Dieser Absatz ist ein gutes Beispiel für das deutsche Sprichwort „um den Brei reden“. Aber diese detaillierte, uninteressante Beschreibung ist wichtig für das Folgende!) Rechts vor der Tür lag ein schwerer, zusammen-gerollter Teppich an der Wand, auf dessen vorderem Ende ich stand, um an den Schalter zu kommen. Ich drückte und drückte, der Schalter summte und summte, doch das Türschloss blieb komischerweise verriegelt. Währenddessen hörte ich immer wieder ein seltsames Geräusch, das ich zunächst nicht zuordnen konnte. Doch es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass das ein Hundewinseln war! Jemand musste den Welpen in den kleinen Flur oder in eines der beiden Büros gebracht haben. Ich drückte immer wieder auf den Schalter, lehnte meinen Oberkörper nach vorne, um die Tür aufzuziehen, doch nichts funktionierte. Und dann, mit einem Schlag, wusste ich: Der Welpe liegt unter dem Teppich! Ich hab noch nie solch einen Satz hingelegt, glaubt mir!! Und tatsächlich: Da lag das arme Ding, unter dem anderen Ende des zusammengerollten Teppichs, in der Jacke eingewickelt. Das Mädchen musste ihn dort versteckt haben. Ich hob den Welpen vorsichtig auf, drückte zum x-ten Mal den verdammten Schalter, und die Tür lies sich ohne Probleme öffnen. Was ich erst am nächsten Tag begriffen habe: Hätte der Schalter auf Anhieb funktioniert, hätte ich das Tier auf dem Weg durch die Tür tot getreten…..
Ich rief sofort meinen Kumpel Rocky an, dessen Mutter Tamara der „Doctor Dolittle“ des Reservats ist. Er gab mir Erste Hilfe–Anweisungen und machte sich sofort auf den Weg, um den Kleinen abzuholen.

Der Welpe war zu diesem Zeitpunkt etwa zwei, drei Wochen alt (seine Augen waren schon geöffnet) und hatte zum Glück keine Schäden von meinem Gewicht davon getragen. (Ich stand immerhin eine ganze Weile auf dem anderen Ende des Teppichs. Das muss einen enormen Druck auf den Hund ausgeübt haben.) Es ist traurig und schön zugleich: Ich habe ihn beinahe getötet, und gleichzeitig habe ich ihm das Leben gerettet: Ein, zwei Stunden später, und er wäre verhungert.


Das Ende vom Lied: Der kleine Racker hat nun ein neues Zuhause bei Rockys Familie (die immerhin schon sechs Hunde hat) und wird alle paar Stunden mit der Flasche groß gezogen. Ich wiederum bin nun im weiteren Sinne stolze Besitzerin eines Hundes (mein größter Kindheitswunsch!!) und fahre jeden Abend nach der Arbeit mit dem Fahrrad zu ihm, um ihn zu füttern, mit ihm zu spielen und ihn in den kleinen „Notsituationen“ schnell vors Haus zu tragen. :-) Mittlerweile ist aus dem kleinen, dünnen Elend ein rundliches Moppelchen geworden, das langsam anfängt zu knurren. Nur mit dem Bellen klappt es noch nicht so ganz. Das Finden einen passenden Namens war meine Aufgabe. Tamara und ich waren uns einig, dass es ein Lakota-Wort sein sollte. Wie ich den perfekten Namen für meinen kleinen Herzensbrecher gefunden habe, ist jedoch eine andere Geschichte, die so bald wie möglich folgt :-)))




Samstag, 15. September 2007

Blitznachricht des Tages

Soeben erreichte uns die Meldung, dass Frau J. K. ein Lebens-zeichen von sich gegeben hat! Nach tagelangem Durchforsten der Prärie durch Suchtrupps mit Hundestaffeln entdeckte man sie heute Morgen halb leblos in einem quietschenden Etagenbett, scheinbar völlig erschöpft und ein wenig unterernährt. Ansonsten geht es ihr jedoch den Umständen entsprechend gut. Es stellte sich heraus, dass sie zwecks besonderer Umstände zum pausenlosen Arbeiten eingesetzt wurde, sodass keine Zeit blieb, um sich bei Familie oder Freunden zu melden. Man darf also beruhigt aufatmen und auf neue Berichte im Blog hoffen.

Dienstag, 4. September 2007

Rückblick #1: Fazit von drei Wochen

Okay Leute, es ist an der Zeit, ein wenig persönlich zu werden. Denn DIE Frage schlechthin ist doch die folgende: „Uuuuuund? Wie isses??“
Tja, wie isses hier…? Es ist vieles: heiß. kalt. lustig. verrückt. stressig. wunderschön. hässlich. hollywood. grün. einsam. fremd. freundlich. anders. anders. und doch eben anders.
Ja, anders ist es hier, anders als alles, was ich bisher erlebt habe. Es ist wie im Film, teilweise aber auch wie im falschen Film. Man lebt sich langsam ein, und doch fühlt man sich ständig fehl am Platz. Ob beim Powwow oder beim Shoppen: Wir sind fast immer die einzigen Weißen zwischen all den Indianern. Zum ersten Mal spüre ich am eigenen Leib, was es bedeutet, Ausländer zu sein. Doch die meisten Menschen hier sind überaus freundlich, und ich habe sogar schon Freunde gefunden: Eine weiße Mitarbeiterin aus dem Teen Center hat einen 24-jährigen Sohn, der den gleichen Musikgeschmack hat, wie ich (was mich äußerst glücklich macht, da hier sonst niemand freiwillig Musik mit hausgemachten Instrumenten hört). Sie ist mit dem Sohn des zweiten Stammesvorsitzenden (tribal chairman) liiert, was sich als äußerst praktisch erweist: Wir brauchen niemals sein Auto abzuschließen, da es niemand wagt, es zu klauen ;-)
Mittlerweile habe ich einige Familienmitglieder kennen gelernt, und Familien sind bei Indianern meistens riiiiiiesig: Manchmal habe ich das Gefühl, dass jeder der Cousin von jedem ist… Noch bis vor kurzem dachte ich, dass es schwer bis unmöglich sein wird, Kontakte zu Einheimischen zu knüpfen. Wir leben und arbeiten im Main, d. h. wir Volontäre sind eigentlich ständig unter uns. Die Fenster zu unseren Räumen sind abgedichtet, da sonst die Kinder wie wild gegen die Scheiben klopfen und unsere Namen brüllen. Manchmal hört man nachts Geflüster vor dem Fenster! Nicht selten fühlen wir uns wie in einem Gefängnis. Deshalb ist es eine willkommene Abwechslung, in einem anderen Haus zu essen oder DVD zu schauen, oder einfach nur im Auto durch die Gegend zu fahren. Zudem besitzt die Familie etwa 40 Pferde (vor allem Rennpferde), und ich habe die Hoffnung, diese noch öfter zu sehen, bzw. sogar bei der Arbeit mit den Tieren zu helfen.

Was ich vermisse:

- warmes Wasser!!
- Essen, welches satt, aber nicht dick macht
- Vollkornbrot
- Korrektur: Brot im Allgemeinen!
- Filme, die nicht alle 5 Minuten durch Werbung unterbrochen werden
- Mineralwasser mit Kohlensäure
- Geschäfte, in denen es Klamotten gibt (ich habe definitiv zu wenige mitgenommen)
- Ruhe (ich bin nur alleine, wenn ich schlafe und dusche)
- unsere Wälder :-)
- Schwimmen
- Busse oder Züge
- oder noch besser: Mamas Auto
- Mülleimer
- Straßenschilder oder Ampeln (hier wird an den Kreuzungen verhandelt, wer zuerst fahren darf)
- die Siegener Dorfdisco
- mein Klavier
- Newgrange, Konzerte und chaotische Bandproben

Nach drei Wochen kann ich wohl behaupten, dass ich mich so langsam eingelebt habe. Die Indianer werden zur Gewohnheit, der Körper hat sich abgehärtet, die Müdigkeit ist mittlerweile zu müde, um müde zu sein, und ich kenne mich immer besser aus hier in Eagle Butte. (Mein Fahrrad ist endlich funktionstüchtig!) Selbst an die fiesen Mücken gewöhnt man sich. Anfangs fühlte sich meine Haut durch die vielen Stiche so an, als hätte ich Fieber: Ich habe gefroren und in der nächsten Sekunde hat die Haut gebrannt wie Feuer, und ein Stich hat mindestens vier Tage gejuckt wie Sau. Nachts bin ich oft schweißgebadet aufgewacht. Mittlerweile hat man es aufgegeben, die roten Beulen zu zählen und sich vor lauter Juckerei auf die Unterlippe zu beißen. Man wird gut im Ignorieren.
Auch das Wetter machte mir anfangs schwer zu schaffen. Tagsüber können es hier bis zu 40 Grad Celsius oder mehr werden (es ist jedoch eine trockene Hitze), während man nachts einen dicken Pulli und eine Jacke tragen muss. Lustig ist auch der Gang von unserem extrem klimatisierten Wohnzimmer (ohne lange Hose und Pullover geht hier nix!) ins Freie: Es ist wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Mich wundert es ganz ehrlich, dass ich bei dem ewigen Klimawandel hier noch nicht krank geworden bin…
Bleiben wir beim Thema Gesundheit: Ich habe mich auf circa vier verschiedene Meinungen verlassen und drei Wochen lang Leitungswasser getrunken, um Geld zu sparen. Die entsetzten Schreie meiner neuen Bekannten („Are you mad?“) haben mir dann letzten Endes doch gewaltig Angst eingejagt: Ich kaufe jetzt immer brav meine Wasserflaschen im LTM. :-)
Satt werden wir auch alle. Allerdings kommt man leider nie wirklich dazu, drei- oder viermal am Tag eine richtige Mahlzeit zu sich zu nehmen, sondern isst stets mal hier, mal da was Kleines zwischendurch, sodass man nie wirklich weiß, ob man nun satt ist oder noch Hunger hat. Wenn man dann auch noch mit lauter weiblichen Personen zusammen lebt, die alle heiß sind auf Cookies und Ice Cream, dann hat man eh verloren (und zwar kein Gewicht!)… Es ist Wahnsinn, was die Leute hier so alles essen. Eigentlich ist es wie in England: Die Supermärkte quellen über von süßem, klebrigem, matschigem, buntem Allerlei. Ich stehe immer wieder staunend vor den Regalen und frage mich, ob man das wohl essen kann. Und wie viele Sorten Limonaden die hier haben! Und Energy-Drinks!! Bei uns gibt es nur den roten Bullen und dessen billige Nachahmer. Hier aber vermarkten zig Firmen ihre Energy-Drinks in zig und zig und zig Geschmacksrichtungen! Hilft aber nicht viel: Zumindest hier in South Dakota ist das Leben das pure Gegenteil von Hektik oder Fitness… ;-)

Kommen wir zu einer Schlussfolgerung: Das Leben hier ist anders, als ich es erwartete habe, aber nicht besser oder schlechter (ich habe ja glücklicherweise nichts Spezifisches erwartet). Aber wenn ich etwas erwartet hätte, dann sicherlich nicht das hier. Ich bin zugleich positiv als auch negativ überrascht. Es ist kein Urlaub, soviel steht fest. Und die Arbeit ist kein Kindergarten, soviel steht auch fest. Es wäre übertrieben zu sagen, dass sie Spaß macht. Aber man kann es anders formulieren: Sie erfüllt mich, da ich etwas Gutes tue.
Dennoch freue ich mich sogar schon wieder ein wenig auf die Heimat. Das war während meines Semesters in Liverpool nicht so. Damals wollte ich gar nicht mehr nach Hause, soviel Spaß hatte ich dort. Doch die Frage ist: Welche Erfahrungen bringen uns mehr im Leben? Die glücklichen oder die harten, aber erfüllenden? Das werde ich wohl erst sehr viel später erfahren…