Dienstag, 4. September 2007

Rückblick #1: Fazit von drei Wochen

Okay Leute, es ist an der Zeit, ein wenig persönlich zu werden. Denn DIE Frage schlechthin ist doch die folgende: „Uuuuuund? Wie isses??“
Tja, wie isses hier…? Es ist vieles: heiß. kalt. lustig. verrückt. stressig. wunderschön. hässlich. hollywood. grün. einsam. fremd. freundlich. anders. anders. und doch eben anders.
Ja, anders ist es hier, anders als alles, was ich bisher erlebt habe. Es ist wie im Film, teilweise aber auch wie im falschen Film. Man lebt sich langsam ein, und doch fühlt man sich ständig fehl am Platz. Ob beim Powwow oder beim Shoppen: Wir sind fast immer die einzigen Weißen zwischen all den Indianern. Zum ersten Mal spüre ich am eigenen Leib, was es bedeutet, Ausländer zu sein. Doch die meisten Menschen hier sind überaus freundlich, und ich habe sogar schon Freunde gefunden: Eine weiße Mitarbeiterin aus dem Teen Center hat einen 24-jährigen Sohn, der den gleichen Musikgeschmack hat, wie ich (was mich äußerst glücklich macht, da hier sonst niemand freiwillig Musik mit hausgemachten Instrumenten hört). Sie ist mit dem Sohn des zweiten Stammesvorsitzenden (tribal chairman) liiert, was sich als äußerst praktisch erweist: Wir brauchen niemals sein Auto abzuschließen, da es niemand wagt, es zu klauen ;-)
Mittlerweile habe ich einige Familienmitglieder kennen gelernt, und Familien sind bei Indianern meistens riiiiiiesig: Manchmal habe ich das Gefühl, dass jeder der Cousin von jedem ist… Noch bis vor kurzem dachte ich, dass es schwer bis unmöglich sein wird, Kontakte zu Einheimischen zu knüpfen. Wir leben und arbeiten im Main, d. h. wir Volontäre sind eigentlich ständig unter uns. Die Fenster zu unseren Räumen sind abgedichtet, da sonst die Kinder wie wild gegen die Scheiben klopfen und unsere Namen brüllen. Manchmal hört man nachts Geflüster vor dem Fenster! Nicht selten fühlen wir uns wie in einem Gefängnis. Deshalb ist es eine willkommene Abwechslung, in einem anderen Haus zu essen oder DVD zu schauen, oder einfach nur im Auto durch die Gegend zu fahren. Zudem besitzt die Familie etwa 40 Pferde (vor allem Rennpferde), und ich habe die Hoffnung, diese noch öfter zu sehen, bzw. sogar bei der Arbeit mit den Tieren zu helfen.

Was ich vermisse:

- warmes Wasser!!
- Essen, welches satt, aber nicht dick macht
- Vollkornbrot
- Korrektur: Brot im Allgemeinen!
- Filme, die nicht alle 5 Minuten durch Werbung unterbrochen werden
- Mineralwasser mit Kohlensäure
- Geschäfte, in denen es Klamotten gibt (ich habe definitiv zu wenige mitgenommen)
- Ruhe (ich bin nur alleine, wenn ich schlafe und dusche)
- unsere Wälder :-)
- Schwimmen
- Busse oder Züge
- oder noch besser: Mamas Auto
- Mülleimer
- Straßenschilder oder Ampeln (hier wird an den Kreuzungen verhandelt, wer zuerst fahren darf)
- die Siegener Dorfdisco
- mein Klavier
- Newgrange, Konzerte und chaotische Bandproben

Nach drei Wochen kann ich wohl behaupten, dass ich mich so langsam eingelebt habe. Die Indianer werden zur Gewohnheit, der Körper hat sich abgehärtet, die Müdigkeit ist mittlerweile zu müde, um müde zu sein, und ich kenne mich immer besser aus hier in Eagle Butte. (Mein Fahrrad ist endlich funktionstüchtig!) Selbst an die fiesen Mücken gewöhnt man sich. Anfangs fühlte sich meine Haut durch die vielen Stiche so an, als hätte ich Fieber: Ich habe gefroren und in der nächsten Sekunde hat die Haut gebrannt wie Feuer, und ein Stich hat mindestens vier Tage gejuckt wie Sau. Nachts bin ich oft schweißgebadet aufgewacht. Mittlerweile hat man es aufgegeben, die roten Beulen zu zählen und sich vor lauter Juckerei auf die Unterlippe zu beißen. Man wird gut im Ignorieren.
Auch das Wetter machte mir anfangs schwer zu schaffen. Tagsüber können es hier bis zu 40 Grad Celsius oder mehr werden (es ist jedoch eine trockene Hitze), während man nachts einen dicken Pulli und eine Jacke tragen muss. Lustig ist auch der Gang von unserem extrem klimatisierten Wohnzimmer (ohne lange Hose und Pullover geht hier nix!) ins Freie: Es ist wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Mich wundert es ganz ehrlich, dass ich bei dem ewigen Klimawandel hier noch nicht krank geworden bin…
Bleiben wir beim Thema Gesundheit: Ich habe mich auf circa vier verschiedene Meinungen verlassen und drei Wochen lang Leitungswasser getrunken, um Geld zu sparen. Die entsetzten Schreie meiner neuen Bekannten („Are you mad?“) haben mir dann letzten Endes doch gewaltig Angst eingejagt: Ich kaufe jetzt immer brav meine Wasserflaschen im LTM. :-)
Satt werden wir auch alle. Allerdings kommt man leider nie wirklich dazu, drei- oder viermal am Tag eine richtige Mahlzeit zu sich zu nehmen, sondern isst stets mal hier, mal da was Kleines zwischendurch, sodass man nie wirklich weiß, ob man nun satt ist oder noch Hunger hat. Wenn man dann auch noch mit lauter weiblichen Personen zusammen lebt, die alle heiß sind auf Cookies und Ice Cream, dann hat man eh verloren (und zwar kein Gewicht!)… Es ist Wahnsinn, was die Leute hier so alles essen. Eigentlich ist es wie in England: Die Supermärkte quellen über von süßem, klebrigem, matschigem, buntem Allerlei. Ich stehe immer wieder staunend vor den Regalen und frage mich, ob man das wohl essen kann. Und wie viele Sorten Limonaden die hier haben! Und Energy-Drinks!! Bei uns gibt es nur den roten Bullen und dessen billige Nachahmer. Hier aber vermarkten zig Firmen ihre Energy-Drinks in zig und zig und zig Geschmacksrichtungen! Hilft aber nicht viel: Zumindest hier in South Dakota ist das Leben das pure Gegenteil von Hektik oder Fitness… ;-)

Kommen wir zu einer Schlussfolgerung: Das Leben hier ist anders, als ich es erwartete habe, aber nicht besser oder schlechter (ich habe ja glücklicherweise nichts Spezifisches erwartet). Aber wenn ich etwas erwartet hätte, dann sicherlich nicht das hier. Ich bin zugleich positiv als auch negativ überrascht. Es ist kein Urlaub, soviel steht fest. Und die Arbeit ist kein Kindergarten, soviel steht auch fest. Es wäre übertrieben zu sagen, dass sie Spaß macht. Aber man kann es anders formulieren: Sie erfüllt mich, da ich etwas Gutes tue.
Dennoch freue ich mich sogar schon wieder ein wenig auf die Heimat. Das war während meines Semesters in Liverpool nicht so. Damals wollte ich gar nicht mehr nach Hause, soviel Spaß hatte ich dort. Doch die Frage ist: Welche Erfahrungen bringen uns mehr im Leben? Die glücklichen oder die harten, aber erfüllenden? Das werde ich wohl erst sehr viel später erfahren…

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hey, gib's zu: Du bist irgendwann heimlich in meine Wohnung eingestiegen und hast meine "Rez-Tagebücher" gelesen!;-)) Es ist verrückt, aber ich stoße in Deinen Berichten immer wieder auf Erfahrungen und Empfindungen, die sich mit meinen eigenen in einem Maße decken, dass ich teilweise sogar die gleichen Formulierungen verwendet habe... Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht!!
Schön, dass Du Anschluß gefunden hast und aus dem "Main-Käfig" ausbrechen kannst. Es gibt auch immer wieder Leute, die das gar nicht wollen, was ich absolut unverständlich finde.
Das mit den Klamotten tut mir leid- ich fürchte, da bin ich mit dran schuld, weil ich immer gesagt habe, dass Du nicht so viel mitnehmen brauchst. Oje...:-(
Liebe Grüße-
Sabine

Jan hat gesagt…

Hallo Ju!
Hast Du beim Projekt so viel Stress, dass Du nicht mehr zum Schreiben kommst. Hoffe jeden Tag auf einen neuen spannenden Eintrag und nichts tut sich.
Hoffe Dir geht es gut!
Oder hast Du Dich so vom Scharm der Natives verzaubern lassen das Du uns in der Heimat vergessen hast.
Noch ein persönliches Anliegen:
Könntest Du mir bitte die Kontonummer vom Youth Projekt zwecks Spende geben.
Liebe Grüße Jan (der "Indianer" von Biesenstück)

Anonym hat gesagt…

Hey,
ihr habt wirklich kein warmes Wasser auf Eagel Butte?

Aber ich muss dir recht geben, hier kriegt man einfach kein ordentliches Brot! Ich habe jetzt angefangen selber zu backen :D

Und die Baeume fehlen mir auch ziemlich. Die wenigen die es hier gibt sind meistens angepflanzt. :D