Donnerstag, 27. September 2007

Running Strong for American Indian Youth

Ein paar Fakten vorweg:

- Vier der fünf ärmsten Counties (Landkreise) der USA befinden sich in den Indianerreservaten von South Dakota.
- Der Landkreis, in welchem sich Eagle Butte befindet, ist laut neuster Statistiken mittlerweile das ärmste County im ganzen Land und hat somit Pine Ridge abgelöst.
- In manchen Gebieten liegt die Arbeitslosenquote bei über 75%.
- Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei unter $7.000 (während Miete und Nahrungsmittel dabei nicht preiswerter sind als im Rest des Landes).
- Folge: Die Mehrheit der Reservatsbewohner lebt unter der Armutsgrenze.
- 50% der Reservatsbewohner sind unter 18 Jahre alt.
- Im letzten Jahrzehnt ist die Selbstmordrate unter den Jugendlichen extrem gestiegen: Jedes Jahr gibt es allein in Eagle Butte zehn Selbstmordopfer, wobei die Rate der Suizidversuche noch viel höher ist. (Dabei ist die Suizidrate der Indianer in South Dakota viermal höher wie die ihrer weißen Mitbewohner.)



Rückblende:

Wir schreiben das Jahr 1988. Wie in jeder Stadt gibt es auch in Eagle Butte eine Straße mit dem einfallslosen Namen „Main Street“. Hier befindet sich eine alte, baufällige Kneipe namens „Little Brown Jug“, die schon etliche Schlägereien gesehen hat und ein Zufluchtsort für viele orientierungslose Reservats-bewohner ist. Doch die Zeiten, in denen das Bier über den Tresen wanderte, sind nun endgültig vorbei, da der Cheyenne River Sioux Tribe soeben die Kneipe aufgekauft hat. Das Cheyenne River Youth Project (CRYP) ist geboren, und die Bar erhält einen neuen Namen: „The Main“. Ab heute soll sie ein Zufluchtsort für die Kinder des Reservats sein, und ihre neue Aufgabe besteht nun darin, unter Fußgetrampel und Kinderlärm nicht zusammen zu stürzen. So hält sie sich auch tapfer und wacker, und fast zehn Jahre vergehen.
Wir schreiben nun das Jahr 1997. Mittlerweile ist die ehemalige Kneipe kurz vor dem Zerfall und die Situation scheint ausweglos. Zu jener Zeit macht sich eine uneigennützige Organisation namens
Running Strong for American Indian Youth auf den Weg ins Cheyenne River Reservat, um der Eröffnung einer von ihnen gesponserten und neu erbauten Lagerhalle für Nahrungsmittel beizuwohnen. Während ihres Aufenthaltes im Reservat besuchen sie auch das Main und sind schockiert von den dortigen Zuständen. So kommt es, dass Running Strong eine Partnerschaft mit dem CRYP eingeht und ihm einen Betrag von $100.000 spendet. Mit dieser großzügigen Starthilfe und weiteren Spenden aus dem ganzen Land kann zwei Jahre später ein neues, $400.000 - schweres Kinderzentrum errichtet werden, das mit dem Namen Billy Mills Youth Center getauft wird (doch jedermann nennt es weiterhin liebevoll „The Main“).


Kurzbiographie Billy Mills: Billy Mills, geboren am 30. Juni 1938 im Pine Ridge Reservat, ist ein Oglala-Lakota-Sioux. Bereits mit zwölf Jahren war er Vollwaise. Schon während seiner Jugend entdeckte er seine Liebe zum Laufen und promovierte schließlich an der University of Kansas zum Sportlehrer. 1964 machte sich Mills weltweit einen Namen, als er völlig überraschend bei den olympischen Spielen in Tokio die Goldmedaille über 10.000 Meter gewann. Dieses Rennen wurde als größte Sensation in der olympischen Geschichte bezeichnet. Mills war damals der erste Amerikaner (und Indianer!), der den Sieg über 10.000 Meter errang, und kein Sportler aus der westlichen Hemisphäre hat es seitdem jemals wieder geschafft. 1984 wurde sein Leben mit Robby Benson in der Hauptrolle verfilmt ("Running Brave"). Heute ist Billy Mills Sprecher von Running Strong for American Indian Youth und macht sich stark für die Zukunft junger Indianer.

Im August 2006 wird dann das Cokata Wiconi Teen Center erbaut, eine beeindruckende Einrichtung für die Jugendlichen des Reservats mit einer riesigen Turnhalle, einem verspiegelten Tanzsaal, diversen Klassen-, Kunst- und Computerräumen, Büroeinrichtungen und Volontärwohnungen. Leider ist das Teen Center bis heute zum größten unbenutzt, da es weiterhin an Geld fehlt (in der Wohnung für die Freiwilligen gibt es noch keine Betten, es fehlen weitere Angestellte oder freiwillige Helfer, die die Jugendlichen beaufsichtigen, etc.).


Die Gegenwart:

Mittlerweile hat sich das CRYP zu einer imposanten uneigennützigen Organisation entwickelt, die sich neben Runnig Strong auf gleicher Ebene für die Kinder und Jugendlichen des Reservates einsetzt (wobei Running Strong landesweit aktiv ist, während sich das CRYP auf das Cheyenne River Reservat spezialisiert). Während das CRYP auf freiwillige Helfer aus der ganzen Welt angewiesen ist, kümmern sich Running Strong um die finanziellen Mittel. Die Organisation bietet alljährlich die beliebte Running-Strong-Tour an, an der jeder Interessierte gegen einen bestimmten Beitrag teilnehmen kann. Die Teilnehmer sind meist pensionierte, wohlbetuchte Menschen aus ganz Nordamerika, die einerseits mit einer großzügigen Spende Gutes tun wollen und sich andererseits für Indianer interessieren. Während der einwöchigen Tour haben sie dann die Gelegenheit, das Pine Ridge und das Cheyenne River Reservat zu besuchen. Dort können sich die Teilnehmer zunächst ein eigenes Bild von den Zuständen in den Reservaten machen und anschließend beschließen, wofür sie spenden wollen. So hat das Pine Ridge Reservat zum Beispiel dank einer älteren Lady demnächst zwei neue Brunnen, die dem ewigen Marsch zu den weit entfernten und verschmutzten Wasserquellen endlich ein Ende bereiten.

Running-Strong-Tourmitglieder 2007

Running-Strong-Tour 2007

Die Tour begann am Sonntag, den 9. September, in Rapid City. Um 19 Uhr lud Billy Mills, der Sprecher von Running Strong, zum Empfang in einem Hotel. Im Konferenzzimmer befanden sich die etwa 40 Tour-Teilnehmer und unser Team vom CRYP. Zu dieser Zeit waren wir noch drei weibliche Volontäre, und wir waren alle erschöpft von der Arbeit der vorangegangenen Woche. Dennoch opferten wir unseren wertvollen Sonntag, um Billy Mills zu treffen, und machten uns schon früh morgens auf den Weg nach Rapid City. Der Aufwand erwies sich als äußerst lohnenswert. Billy Mills hielt eine Rede, die uns Mädels wortwörtlich zu Tränen gerührt und uns die Augen für das Wesentliche geöffnet hat. Es folgten Autogrammstunde und Fotosession. Mittlerweile war es schon 21 Uhr, und jedermann war müde und erschöpft. Billy Mills Flieger sollte früh am nächsten Morgen starten, und auch uns stand eine neue, harte Arbeitswoche bevor.
Doch natürlich kam alles anders: Billy Mills lud uns Mädels zum Essen ein! Da können die Augen noch so klein sein, der Magen noch so voll von Cookies und Kaffee – wer bei solch einem Angebot ablehnt ist ganz schön dämlich! Also rissen wir begeistert unsere Augen auf und rieben uns dramatisch unsere scheinbar knurrenden Bäuche. So kam es, dass wir bis 1 Uhr nachts noch viele weitere Geschichten von Mr Mills genießen konnten. :-)


Eine rührende Geschichte: Meine beste Freundin schenkte mir 2004 zu Weihnachten ein Buch. Naja, nicht gerade das einfallsreichste Geschenk. Aber wartet, keine voreiligen Bewertungen! Zu jener Zeit ging es mir seelisch nicht besonders gut, und meine Freundin verbrachte Stunden damit, im Internet oder in Buchhandlungen ein passendes, hilfreiches Buch für mich zu finden, das mir irgendwie helfen könnte. Und sie fand es auch: „Auf der Suche nach dem verborgenem Glück“, eine Anleitung zum Glücklichsein. Klingt überaus kitschig, war aber überaus lehrreich und hat vor allen Dingen geholfen. Ich habe das Buch innerhalb eines Tages verschlungen und war anschließend wie geheilt. Zusätzlicher Pluspunkt für die Wahl des Buches war der Co-Autor: Neben dem bekannten Schriftsteller Nicholas Sparks, der für schnulzige Liebesromane bekannt ist, war ein Indianer am Buch beteiligt.

--- Szenenwechsel ---

In dem Konferrenzzimmer in Rapid City betritt ein indianischer Mann das Rednerpult und stellt dem Publikum Billy Mills vor, indem er dessen Leben kurz mündlich zusammenfasst. Dabei erwähnt er ein Buch, das Billy Mills zusammen mit Nicholas Sparks geschrieben hat. Es dauert ein wenig, bis bei mir der Groschen fällt. Dafür hämmert mein Herz umso wilder, als er endlich unten angekommen ist! Heiliger Bimbam, ist denn das möglich? Plötzlich weiß ich auch, warum mir der Name Billy Mills von Anfang an so bekannt vorkam! DER Billy Mills, der 2004 mit seinen Worten meinen Seelenmüll ein wenig aufgeräumt hat, ist DER Billy Mills, der gerade ein paar Tische weiter Cookies isst und Kaffee trinkt! Ich habe noch in der Nacht, als wir nach Hause kamen, meine Freundin auf der Arbeit angerufen (dort waren es 8 Uhr) und ihr die Neuigkeiten berichtet. Auch sie konnte es kaum glauben. Wie klein ist die Welt?
Später ging ich zu Billy Mills und sagte: „Now
I have a story for you!“ Und ich erzählte ihm meine Geschichte, die ihn höchst erfreute. Der Kreis, von dem viele Indianer und auch Billy Mills ständig reden, ward geschlossen: ...... -
meine Trauer – meine Freundin – das Buch – der Autor – seine Geschichte für mich - mein Glück hier – meine Begegnung mit Billy – meine Geschichte für ihn - ......
Und um die rührende Geschichte noch einen Tick schnulziger zu machen: Der Originaltitel des Buches lautet „Wokini“. Als ich das Wort las, wusste ich sofort, dass ich meinen Welpen so nennen würde. Ich schlug eine der letzten Seiten auf, in der sich – wie in der deutschen Ausgabe auch – die Übersetzungen der im Buch verwendeten Lakota-Wörter befinden. Und siehe da, der Name erwies sich als perfekt: „wokini“ bedeutet „neues Leben, neuer Anfang“ :-)


Am nächsten Tag begann die große Tour-Woche für uns: Die Teilnehmer sollten Donnerstagnachmittag im Cheyenne River Reservat eintreffen, und bis dahin mussten sämtliche Vorbereitungen getroffen sein. Das heißt vor allem eins: putzen, putzen und nochmals putzen. In jener Woche konnten wir jedoch zu all unseren verschiedenen Arbeitsbereichen einen weiteren addieren und fungierten nunmehr zusätzlich auch noch als Animateure für die Tour-Teilnehmer. Diese hatten mittlerweile ihre Tour durch die Black Hills und das Pine Ridge Reservat hinter sich gebracht und trafen denn auch Donnerstag pünktlich um 17 Uhr im Main ein. Von diesem Zeitpunkt an war es unsere Aufgabe, uns um all die netten Menschen zu kümmern. Wir beantworteten Fragen, führten sie herum und begleiteten sie zum Frühstück, Lunch und Dinner. (Die kostenlose Selbstbedienung am Buffet war natürlich der schönste Teil unserer Arbeit!) Zudem hatten wir schon zwei Wochen zuvor ein Theaterstück für ein Puppenspiel einstudiert, was wir denn auch gleich zweimal aufführen mussten. Es war eine bearbeitete Version der heiligen Lakota-Legende über die weiße Büffelkalbfrau. Höhepunkt aber war wahrscheinlich das Powwow in der Turnhalle unseres Teen Centers am Freitagabend, bei dem ich die dankbare Aufgabe hatte, T-Shirts und Marmelade zu verkaufen. So saß ich zwischen lauter indianischen Künstlern, die ihrerseits ihre Ware anboten, und genoss den freien Blick auf die tanzenden Schönheiten.

Samstags reisten die Teilnehmer wieder ab. Eine aufregende, schöne, aber auch anstrengende Tour-Woche war vorbei, und wir um tausend Erfahrungen reicher. Jetzt wartete nur noch das Bett auf uns…


Billy Mills' Rede:

Ums einmal salopp zu sagen: Der Typ hat mich von den Socken gehauen! Ich werde es wohl kaum schaffen, meinen Eindruck seiner mehr als sechzigminütigen Rede wider zu geben. Billy Mills erzählte von dem frühen Tod seiner Eltern, von seiner kindlichen Trauer und Verzweiflung, von gebrochenen Flügeln und von Hoffnung, von seinem Olympiasieg, von Gönnern und Neidern, vor allem aber von Kriegern und Helden. Das Impossante: Der Raum war gefüllt mit Menschen, welche Running Strong eine große Menge Geld zur Verfügung stellen, doch es waren wir drei Volontäre, die Billy Mills immer wieder ansprach. „Ihr seid Krieger, ihr kämpft für eine gute Sache. Ihr seid die Helden für so viele Menschen im Reservat, ohne dass ihr es wisst!“ Und es waren diese wenigen Worten, die unser komplettes Bild der Arbeit im Main verändern sollten.
Die beiden vorangegangenen Tage waren schlimm. Die Anzahl der Kinder im Main war enorm (Samstag waren es mehr als 75 Kinder!!!), wir waren nur drei Volontäre, und wir hatten die kreischende Menge kaum unter Kontrolle. Hinzu kam ein völlig verzogenes Verhalten und teilweise sehr kränkende Bemerkungen. Kurzum: Wir waren kurz vorm Verzweifeln und den Tränen nahe. Wir fragten uns Samstagabend, welchen Sinn unsere Arbeit überhaupt hat und ob die Kinder und deren Eltern unsere Mühen überhaupt zu schätzen wissen.
Billy Mills gab uns die Antwort. Sie war versteckt in seiner langen Rede, sie war verwoben in endlosen Metaphern, und sie war kaum zu sehen. Aber sie war zu spüren. Die Antwort auf den Sinn unserer Arbeit sind die Kinder selbst, die fast täglich das Main aufsuchen. Sie sagen nicht danke, ihre Eltern sagen nicht danke, niemand sagt danke. Aber wozu Worte? Es ist die stumme Umarmung eines Kindes. Es ist der gierige Blick, der die Frage nach dem aktuellen Speiseplan begleitet. Es sind das Lachen und das Weinen, all die Emotionen, welche die Kinder zu zeigen wagen. Es ist vor allem aber die bloße Anwesenheit der Kinder. Die Kinder sind dankbar, ihre Eltern sind dankbar, und wir sind ihre geheimen Helden. Wir wussten es nur nicht….

Für mehr Informationen zu Running Strong for American Indian Youth, besucht www.runningstrong.org. Hier gibt es auch noch mehr Bilder von der Tour.

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