Donnerstag, 23. August 2007

Die Arbeit

Die Arbeit im Main lässt sich mit einem Wort kaum beschreiben. In diesem Job fungiere ich gleichzeitig als Erzieherin, Lehrerin, Sozialpädagogin, Köchin, Putzfrau, Lageristin und Gärtnerin. Dies erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und vor allen Dingen: starke Nerven. Wer dies nicht mitbringt, wird es sich wohl spätestens hier aneignen. Hinzu kommt die Fähigkeit zur Teamarbeit, da man sich mit den anderen Volontären arrangieren muss. Sympathie ist da unerlässlich.

Arbeitsbeginn ist um 9:00 Uhr. Vormittags wird geputzt und im Garten oder Lagerhaus gearbeitet. Sowohl das Main Youth Center als auch das Teen Center direkt nebenan müssen ständig sauber gehalten werden. Das bedeutet tägliches Putzen von Bädern, Küchen und Aufenthaltsräumen. Das Reinigen unserer privaten Räume im Main Youth Center sollte dabei nicht während der Arbeitszeit erfolgen, sondern erst nach Feierabend oder am Wochenende.
Das Main betreibt einen riesigen Garten, in dem sowohl die Kids als auch die Volontäre an Saat und Ernte beteiligt sind. Im Teen Center befindet sich zudem eine große Lagerhalle mit zwei Etagen. Hier wird alles aufbewahrt, was Firmen und private Haushalte aus dem ganzen Land spenden. Man glaubt es kaum, wie spendierfreudig die Amis sind! Unmengen an Spielsachen, Kleidung, Babynahrung und -zubehör, elektronischen Geräten, vor allem aber schulischem Zubehör, finden regelmäßig ihren Weg ins Reservat. Jede Lieferung wird von uns in Regale einsortiert. Die Verteilung der Spenden läuft über den so genannten Family Service: Mit einem jährlichen Beitrag von zwanzig Dollar können sich hier finanziell benachteiligte Familien registrieren und anschließend eine Liste mit dringend benötigten Utensilien abgeben. Eine Angestellte aus dem Teen Center kümmert sich daraufhin um die Verteilung der Waren. Da in zwei Wochen das neue Schuljahr beginnt, haben wir momentan zusätzlich massenhaft Schulzubehör erhalten, welches in der Turnhalle des Teen Center gelagert wird. Hier können sich die Schulkinder demnächst frei bedienen und sich an Rucksäcken, Stiften, Blöcken und sonstigem Material erfreuen.
Zwischen 11:30 Uhr und 12:30 Uhr haben wir Mittagspause, die unsere knurrenden Mägen mit Freude (er)füllt. Anschließend werden im Activity Room Tische und Stühle für die Kids aufgestellt. Die Kleinen stehen meist jetzt schon ungeduldig vor der Tür und drängeln sich alle vor den Fenstern. Um 13:00 Uhr werden die Pforten geöffnet. Jedes Kind muss sich mit Name, Alter, Geburtsdatum und Telefonnummer in eine Liste eintragen lassen. Diese Prozedur macht richtig Spaß, da man sich immer wieder aufs Neue an den Nachnamen der Kinder erfreut. Namen spielen seit jeher bei den Indianern eine große Rolle, doch ich wusste nicht, dass die Nachkommen noch heute solche schöne, manchmal aber auch sehr kuriose Namen tragen. Hier einige Beispiele: One Feather, Red Tomahawk, High Elk, Blackbird, Iron Hawk, Red Bear, Black Bear, Four Bear, Bear Cook, Brown Otter, Hollow Horn, Two Dogs, Red Dog, Eagle Chasing, Gray Eagle, Fast Horse, Buffalo, Runs After, Badwarrior, Killed Two Men (!!),…
Die Anzahl der Kids ist stets unterschiedlich. Letzte Woche Dienstag waren es 41, während es heute nur zehn waren. Die Altersgrenze ist in der Regel zwischen 5 und 16 Jahren, die meisten Kinder sind aber zwischen 8 und 12. Sie kommen zum größten Teil aus zerrütteten und verarmten Familien, die oft von Alkoholismus oder Kindesmissbrauch gekennzeichnet sind. Glückliche Kinder mit geordneten Familienverhältnissen tauchen hier eher selten auf, da deren Eltern es nicht zulassen, dass sich ihr Nachwuchs mit den unerzogenen Kindern herum treibt.
Manieren fehlen hier in der Tat des öfteren: Sonntag haben acht Mädels im Garten sämtliche Karotten aus der Erde gerissen und freudig überall verteilt (was für uns zusätzliche Arbeit am Wochenende bedeutete…), während man neulich Spaß daran entdeckte, Prinzessinnen-Kostüme die Toilette runter zu spülen… Als Konsequenz gibt es bei schwerwiegenderen Zwischenfällen wie diesen ein zweiwöchiges Main-Verbot, was den Kindern meist schwer zu schaffen macht. Aber ob sie aus ihrer Strafe auch lernen, bezweifle ich noch…

Sobald wir ein auffälliges Verhalten bemerken, welches ein Hinweis auf Missbrauch oder Vernachlässigung sein könnte, müssen wir einen Bericht schreiben und diesen weiterleiten. Daraufhin wird entschieden, ob das Sozialamt eingeschaltet wird. Auffälliges Verhalten in diese Richtung kann sich z. B. darin äußern, dass ein Kind beim Puppenspiel den betrunkenen Vater nachspielt. Auch gemalte Bilder können manchmal einiges verraten. Ich selbst habe diesbezüglich noch nichts erlebt. Es kam aber schon vor, dass sich mir ein Mädchen weinend um den Hals warf, weil es seine verstorbene Großmutter so sehr vermisst und nun niemanden mehr hat, der für es da ist. Das ist hart und man muss aufpassen, nicht selbst in Tränen auszubrechen.

Im Großen und Ganzen besteht unsere Aufgabe darin, mit den Kindern zu spielen, zu malen, zu basteln oder zu lesen. Für Letzteres haben wir eine eigene, kleine Bibliothek, die stets gerne genutzt wird. Draußen gibt es einen Spielplatz, auf dem sich täglich mindestens ein Kind bei Rumtoben den Kopf stößt oder die Knie aufschürft. Es ist auffällig, wie sehr sie es anschließend genießen, umsorgt zu werden.
Um 16:00 Uhr begeben sich immer zwei Volontäre ans Kochen. Die Küche schließt sich direkt an den Activity Room an, sodass sich die Kinder durch ein großes Fenster ihre Teller abholen können. Leider erlebt man nur allzu oft, dass fast alles Essen wieder abgegeben wird und anschließend im Müll landet. Beliebt sind Pizza, Kuchen, Süßigkeiten und Maisrot. Unbeliebt ist – oh Wunder! – alles Gesunde. Es ist also etwas deprimierend, wenn man eine Stunde lang Essen zubereitet und anschließend über die Hälfte davon wieder entsorgen darf. Wir selbst essen nur dann zusammen mit den Kindern, wenn etwas für uns übrig bleibt, was jedoch eher selten ist. Daher müssen wir uns hier weitgehend selbst versorgen. Nach dem Essen müssen die beiden „Köche“ spülen, während die anderen Volontäre weiter mit den Kindern spielen. Der Küchendienst alleine beansprucht täglich mindestens drei Stunden!
Um 19:00 Uhr wird das Main geschlossen, und die Kids werden abgeholt oder machen sich zu Fuß auf den Heimweg. Danach werden die Küche, der Activity Room, die Korridore und die Bäder der Kinder gefegt, gewienert und geschrubbt. Feierabend ist also frühestens um 19:30 Uhr, oft sogar noch später.

Freitagvormittag ist fund raising ist angesagt: Wir gehen auf die Straßen und sammeln Spenden oder verkaufen auf unserem Farmer´s Market das Gemüse aus unserem Garten (soweit es nicht irgendwelche kleinen Teufel in der Gegend verteilt haben…). Ich hätte nie gedacht, dass es Spaß machen kann, zu zweit mitten auf einer Kreuzung zu stehen, bewaffnet mit einer Spendendose und einem riesigen Umhängeschild mit den Worten „Please support the Main“! Ich hatte zuvor die Befürchtung, es sei peinlich, betteln zu gehen. Aber im Gegenteil! Es ist ja nicht für uns, sondern für die Kinder hier! Da wir vor einem Stoppschild standen, musste zwangsläufig jedes Auto anhalten, und fast jeder Fahrer kurbelte das Fenster runter und unterhielt sich mit uns. Die Menschen hier sind unglaublich nett!! Selbst diejenigen, die nichts spenden wollten/konnten, entschuldigten sich dafür oder schenkten uns einfach nur ein Lächeln. Das Interessante aber war: Die reichen Leuten mit den teuren Autos fuhren stur an uns vorbei, ohne uns eines Blickes zu würdigen (vor allen Dingen die Weißen), während aus den schäbigsten Karren stets ein Dollarschein gereicht wurde, inklusiver netter Worte und einem Lächeln. Aber so ist es wahrscheinlich überall auf dieser materialistisch geprägten Welt: Die, die selbst nicht viel haben, geben, und die, die haben, wollen mehr…. :-( Ingesamt haben wir jedenfalls an diesem Freitag in nur zwei Stunden auf der Kreuzung über 90 Dollar eingenommen!! :-)

Im vergangenen Jahr war das Main nur montags bis donnerstags geöffnet, doch das wird sich in Zukunft ändern: Das Verhalten der Kinder ist in letzter Zeit äußerst auffällig geworden, weswegen sie wieder mehr beschäftigt werden sollen. Deswegen hat man beschlossen, dass das Main – so wie früher – auch freitags von 13:00 bis 19:00 Uhr und samstags von 13:00 bis 17:00 Uhr geöffnet werden soll. Für die Kinder ist das sicherlich eine Bereicherung, wissen doch die meisten von ihnen mit ihrer Zeit im Reservat nichts anzufangen. Für die Volontäre bedeutet dies jedoch mehr Arbeit. Aber sind wir nicht wegen der Kinder hier…?

Insgesamt macht mir die Arbeit hier trotz aller „Strapazen“ Spaß. Besonders die Beschäftigung mit den Kindern ist sehr erfüllend. Am Anfang wurde ich bloß skeptisch beäugt oder grimmig angestarrt. Aber es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Kinderarme um meinen Hals legten. Ich frage mich oft, was die Kids wohl machen würden, wenn es das Main nicht gäbe…

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Na du!
Ich bins Jan. Habe mir gerade dein "Tagebuch" durchgelesen da mein Bruder endlich wieder Internet hat:-) also ich auch ;-)!!
Ich hoffe du kommst da unten gut klar mit den bedingungen? Aber so wie ich dich bisher kennen gelernt habe denke ich schon das du das alles gut hinbekommen wirst!!!
Frage:
Ist das Sozialamt was im zweifelsfall benachrichtigt wird stammesintern geführt oder von der Regierung???
So dann wünsche ich dir weiterhin viel erfolg da unten!
Aber ich werde den velauf weiterhin verfolgen! Und dir noch ein paar "Kommentare" schreiben. Halt den Kopf oben bis demnächst denk an dich gruss Jan!

Ju hat gesagt…

Danke!! ;-)

Das Sozialamt ist eine stammesinterne Institution.